Die Einkaufspromenade unter den mittelalterlichen Laubengängen in Bern konkurrenziert heute mit Onlineshops.

Die Migros-Gründer Gottlieb und Adele Duttweiler haben 1946 ihren Privatbesitz in Rüschlikon der Stiftung «Im Grüene» geschenkt, mit dem Wunsch, dass ein öffentlicher Raum als Erholungsstätte für die Allgemeinheit entstehe. Das «GDI» – wie der Park selbst ein Vermächtnis der Duttweilers – hat nun die Studie «Future Public Space – Die Zukunft des öffentlichen Raums» herausgebracht. Wir stellen sie auf den folgenden Seiten vor.

Städte werden dichter: Immer mehr Menschen müssen sich immer weniger Platz teilen. Gleichzeitig wandelt sich der städtische Raum. Neue Arbeitswelten, veränderte Mobilität, Zielkonflikte zwischen Bewohnern und Touristen oder Strukturwandel im Handel tragen dazu bei. Wird der öffentliche Raum wichtiger? Und wie definiert er sich überhaupt?

Die Idee zum Park
Gottlieb Duttweiler war ein erfolgsorientierter Unternehmer, aber er wusste um die Bedeutung des Menschen. Daher die Idee, der Öffentlichkeit einen Park zu schenken. Die Dimension der Schenkung war damals im Vergleich zu heute ein Klacks. Rüschlikon gehört inzwischen zu den attraktivsten, aber auch teuersten Gemeinden der Schweiz. Die Weitsicht und die Sicht auf den Menschen prägen bis heute das Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) und seine Aufgaben. Ob als Begegnungsort oder als Thinktank, Ausgangspunkt ist immer der Mensch und was Entwicklungen für seine Zukunft bedeuten. Die «Future Public Space»-Studie ist exemplarisch dafür. Sie liefert Impulse, neu über einen spezifischen Aspekt der Zukunft nachzudenken.

Die Definition für öffentlichen Raum
Den öffentlichen Raum zu definieren, erweist sich als ein schwieriges Unterfangen. Das hat primär mit den unterschiedlichen Definitionen zu tun, die von Verwaltung, Architektur, Soziologie und den Nutzern des öffentlichen Raums – der Öffentlichkeit selbst – verwendet werden. Ein Kriterium, das sich jedoch herausstreichen lässt, ist die Zugänglichkeit für alle Menschen. Doch immer mehr Spielregeln, Hausregeln, Gebote und Verbote scheinen den öffentlichen Raum zu bedrohen. Er gilt sowohl als Kulisse unserer gesellschaftlichen Inszenierung als auch der Infrastruktur zur Verbindung und Vernetzung des gemeinschaftlichen Lebens. Dabei wird schnell klar, ganz egal ob der öffentliche Raum zu- oder abnimmt, er verändert sich schnell.

Die Studie beschreibt fünf Thesen, die den öffentlichen Raum in Zukunft deutlich prägen dürften.

These 1: veränderte Nutzung des öffentlichen Raums
Der Handel prägte über Jahrzehnte – ja sogar Jahrhunderte – unsere Innenstädte. Einige der prominentesten Strassen der Welt verdanken ihre Bekanntheit ihren exklusiven Läden: die Fifth Avenue, die Via Montenapoleone, die Champs-Élysées oder auch die Bahnhofstrasse in Zürich. Doch der Klick-Konsum hält Einzug und es ist schneller und bequemer, online zu shoppen, als sich durch die den Witterungen ausgesetzten Ladenzeilen zu schieben. Dabei verdankt zum Beispiel Bern seine pittoresken – heute bei Touristen beliebten – «Lauben» dem Handel des Mittelalters.

Auch die Mobilität steckt mitten in einem Veränderungsprozess: Shared Mobility setzt sich bei jungen, urbanen Bevölkerungsschichten immer mehr durch. In Kombination mit dem Hoffnungsträger des autonomen Fahrens dürften die Parkplätze in absehbarer Zukunft komplett aus dem Stadtbild verschwinden. Schon heute ist es kaum vorstellbar, dass der Bundesplatz in Bern bis 2004 noch ein Parkplatz war.

These 2: öffentlich und privat verwischen
Lange hat uns Architektur und Stadt­planung klar identifizierbare Zonen des Privaten und des Öffentlichen eingerichtet. Die Normen und Regeln waren eindeutig. Doch mittlerweile kaufen Firmen wie Daimler oder Nike Plätze auf, die sie zu Urban-Entertainment-Centern umgestalten. Auf öffentlichen Plätzen stehen sofa­gleiche Sitzgelegenheiten, und man wird mit WLAN versorgt. Erweiterte Realitäten erzeugen zudem eine neue hyper-individualisierte Wahrnehmung des öffentlichen Raums. Jeder Nutzer dieser Technologie erhält dadurch eine individuelle und damit privatisierte Wahrnehmung dieses Raums – mit «freundlicher Unterstützung» von Google, Instagram und Apple gewissermassen. Es entsteht eine personalisierte Öffentlichkeit.

These 3: Das urbane Gefühl entsteht in der Peripherie
Schweizer Städte sind im Vergleich zu internationalen Metropolen Dörfer. Daher wird auch ein anderes Gefühl von Urbanität kultiviert, als dies in Paris oder Berlin der Fall ist. Schweizer Städte sind kleine Freilichtmuseen, die von Kriegen unbeschadet geblieben sind. Das macht sie für Einheimische lebenswert, für Touristen attraktiv und für Investoren kommerziell interessant. Insgesamt hat diese Anziehungskraft auch hohe Mieten und Preise zur Folge. Das etablierte Lebensgefühl führt zu einem eher bewahrenden, fast dörflichen Verhalten. Die komfortable Situation soll erhalten bleiben, Innovation hat daher wenig Platz. Zudem sind die Mieten dafür zu teuer geworden. Diese Lock-in-Situation führt zu einem kreativen Abfluss in die Peripherie der Kernstädte und Agglomerationen. Dort wiederum entstehen neue Dynamiken und kreative Hubs.

These 4: öffentlicher Raum im Spannungsfeld
Unter dem Eindruck von Terrorgefahr und unangemessenem Verhalten werden öffentliche Räume immer mehr überwacht. Sich beobachtet zu fühlen, führt unweigerlich zu einem anderen Verhalten, ergo einer Unfreiheit. Doch mit der Digitalisierung findet ein Shift statt von sichtbarer zu unsichtbarer Überwachung. Anstelle der sichtbaren Überwachung durch Videokameras ist die unsichtbare Überwachung in Laternenpfähle oder Smartphones integriert: Codierte Menschen, die sich über Fitnesstracker und soziale Netzwerke quasi selbst überwachen in einer codierten Stadt, die sich selbst optimiert, indem Algorithmen die Abfallentsorgung kontrollieren oder die Luftqualität messen. Der Mensch wird zur Verlängerung der Smart City und verschmilzt zu einem neuen Ökosystem.

These 5: Vom Regulator zum Moderator
Ob zu Hause, bei der Arbeit oder unterwegs, die Menschen sind praktisch immer online. Google hilft bei der Navigation durch die Stadt, WhatsApp bei der Kommunikation oder Tinder bei der Partnersuche. Die Sicht auf unsere Umwelt erfolgt zunehmend durch den Filter einer der Big Seven der Tech Industrie (Google, Apple, Facebook, Amazon, Baidu, Alibaba und Tencent). Diese globalen Player stellen ihre eigenen Hausregeln in Bezug auf die Nutzung ihrer Dienstleistungen auf – werden zu den eigentlichen «Kreatoren» der Städte – womit sie unweigerlich auch auf die Verhaltensnormen der physischen Umgebung einwirken. Diese Nutzungsbedingungen aus Sicht eines Users übertragen sich auf die Rolle als Bürger. Der Bürger versteht sich immer mehr als User einer Stadt, deren Qualität und Usability analog TripAdvisor bewertet werden kann. Die Verwaltungen der Städte finden sich in einem neuen Ökosystem wieder, wo sie von einer Rolle des Regulators immer mehr zu einer Rolle des Moderators übergehen. Die Studie kann man in voller Länge auf der Webseite des GDI kostenlos downloaden.

 

Future Public Space
von Marta Kwiatkowski, Stefan Breit
und Leonie Thalmann
GDI Gottlieb Duttweiler Institute,
52 Seiten

www.gdi.ch