Prof. Dr. Jörg Harnisch zeigt die Bestandteile eines klassischen Drei-Stoff-Betons.

Wird gebaut, kommt weltweit bei fast allen Neubauten Beton zum Einsatz. Für die Herstellung wird Zement benötigt und bei dessen Produktion fallen grosse Mengen an CO2-Emissionen an. Die weltweite Zementproduktion verursacht jährlich 2.5 Milliarden Tonnen CO2-Emmisionen und das zeigt auf, dass in diesem Bereich mit den nötigen Massnahmen vieles bewirkt werden kann. Auf einem guten Weg dorthin sind die Bauingenieurinnen und Bauingenieure der FH Münster, die ein Verfahren entwickelt haben, um einen neuen klimafreundlichen und idealerweise CO2-neutralen Beton herzustellen.

 

Immer mehr Bauwerke aus Beton sind in die Jahre gekommen und werden abgerissen – übrig bleibt jede Menge Schutt. Dieser besteht aus verschiedenen Korngrössen – von sehr klein bis ganz grob –, die weiterverarbeitet werden müssen. Alles, was im mittleren bis groben Segment liegt, lässt sich in der Baubranche derzeit gut weiterverarbeiten. Mit dem feinen Pulver im Betonrezyklat, das an die Konsistenz von Mehl erinnert, gelingt das jedoch nicht ohne Weiteres. Darüber
hinaus gibt es eine weitere Herausforderung beim Einsatz von Beton als Massenbaustoff: Zement. Dieser wird neben der Gesteinskörnung, dem Wasser sowie Zusatzmitteln und -stoffen benötigt, um Beton herzustellen. Er verursacht dabei aber fünf bis acht Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Forscherinnen und Forscher der FH Münster hatten deshalb die Idee, einen völlig neuen Beton zu entwickeln, der klimafreundlich und idealerweise CO2-neutral ist – und unter anderem aus den Feinanteilen des Betonrezyklats besteht. Denn damit stellte das Team ein CO2-optimiertes Bindemittel her. «Das Bindemittel klebt die Gesteinskörner im Beton zusammen. Normalerweise geschieht das mithilfe des Zementleims», erklärt Prof. Dr. Jörg Harnisch.

 

Eine neue Herstellung von Zement
Zement besteht aus Kalk und Ton. In der Herstellung wird er bei bis zu 1 450 Grad Celsius gebrannt. Dabei stammt ein grosser Teil der Energie nach wie vor aus fossilen Energieträgern – und das sorgt für einen erheblichen CO2-Ausstoss. Aber nicht nur hier entsteht CO2. Wird Kalkstein bei 1 450 Grad Celsius gebrannt, wandelt sich dieser unter Abgabe von erheblichen CO2-Mengen zu Brandkalk um. Dieser Vorgang wird «Entsäuern» genannt, und der Anteil am Gesamtausstoss von CO2 beträgt rund 60 Prozent. Diese Menge wird also immer brennstoffunabhängig bei den derzeit eingesetzten Rohstoffen erzeugt. Prof. Dr. Jörg Harnisch fügt hinzu: «Unser Ansatz ist es daher, Zement zu ersetzen. Wir verwenden Metakaolin, ein thermisch speziell aufbereiteter Ton, und das feine Pulver aus dem Betonrezyklat. Letzteres haben wir vom Betonwerk Rekers bekommen, dessen Betonrezyklat
aus der Produktion gut mit dem Rezyklat von der Baustelle vergleichbar ist.» Metakaolin verbrauche in der Herstellung zwar immer noch Energie, allerdings deutlich weniger als Zement. Zudem «entsäuert» Ton nicht wie Kalkstein, sodass der CO2-Ausstoss von dieser Seite auf ein Minimum gesenkt werden kann, so der Wissenschaftler. Statt mit Wasser arbeitet das Team mit einer hochalkalischen Aktivatorlösung – dem dickflüssigen Natrium-Wasserglas. «Dieser Prozess ist sehr komplex», sagt Pia Gebken. «In dem Pulver gibt es amorphe Alumosilikate, die eine grosse chemische Reaktionsfreude besitzen. Wir lösen diese mit dem Wasserglas zunächst an. In einem zweiten Schritt verbinden sich die angelösten Elemente zu neuen, festen Strukturen. Dieser Vorgang wird auch als Polymerisation bezeichnet und ist vor allem in Zusammenhang mit Kunststoffen bekannt. Dadurch entsteht das neue Bindemittel, mit dem wir die Gesteinskörner zusammenkleben», erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Festigkeit
Drei Jahre lang haben die Bauingenieurinnen und Bauingenieure daran geforscht. Dabei entpuppte sich vor allem das richtige Verhältnis von Metakaolin und Rezyklat als grosse Herausforderung: Ein zu hoher Anteil von Rezyklat führt dazu, dass die Festigkeit nicht besonders hoch ist. Aber auch die Zusammensetzung der Aktivatorlösung spielt eine grosse Rolle und wurde in ausgiebigen Testreihen beleuchtet. Die Prüfungen an Festmörtel und -beton hat Ingo Fenneker durchgeführt und begleitet. Er führte im bautechnischen Zentrallabor der Hochschule Belastungstests in dreistelliger Anzahl durch. «Letztendlich ist es uns gelungen, funktionierende Betone zu entwickeln, die unter Baustellenbedingungen hergestellt werden können und eine technisch nutzbare Festigkeit aufweisen. Vorsicht ist aber beim Einsatz der alkalischen Lösung angesagt», so Harnisch. Besonders gut funktioniere Beton, der zu 75 Prozent aus Metakaolin und 25 Prozent aus Rezyklat besteht. «Dieser ist mit 30 Newton pro Quadratmillimeter belastbar, was einem normalen Beton im heutigen Hausbau entspricht», sagt Fenneker. Die Festigkeit sinkt leicht, wenn der Beton zu 50 Prozent aus Metakaolin und zu 50 Prozent aus Rezyklat besteht – er ist aber immer noch sehr gut nutzbar. Und die Folgen für die Umwelt sind deutlich: Normaler Beton erzeugt ein CO2-Äquivalent von über 200 Kilogramm pro Kubikmeter. Beton mit viel Metakaolin und weniger Rezyklat reduziert dies um 42 Prozent, Beton mit mehr Rezyklat um 50 Prozent. Ein weiterer Vorteil: Die verbleibende Energie ist vornehmlich Prozessenergie, die in der Zukunft idealerweise aus regenerativen Quellen stammt. Dann wäre der neue Beton klimaneutral.

 

Beton gegen Umwelteinflüsse
Fertig ist das Team damit aber noch nicht: Im nächsten Schritt will es untersuchen, wie dauerhaft der neue Beton ist – wie gut er also gegen Frost, Temperatur- und Feuchtebeanspruchung gewappnet ist. Und es gilt herausfinden, wie lange der Beton den darin verbauten Bewehrungsstahl sicher vor Korrosion schützt. «Ausserdem wollen wir einen Beton mit noch höherer Festigkeit entwickeln. Was wir jetzt schon erreicht haben, ist für uns ein grosser Erfolg. Da steckt aber noch viel Potenzial drin, das wir ausschöpfen wollen. Irgendwann komplett klimaneutralen Beton zu produzieren, wäre grossartig, denn Bauen ohne Beton wird es auch in
Zukunft nicht geben», so Harnisch.

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