Hohe Dichte – viel Aussenraum: Entwicklung der Nordspitze am Dreispitz für Gewerbe, Einkaufen, Wohnen mit neuem grossen Park. Foto: Herzog & de Meuron

Städtebau ist ein umkämpftes Feld. Erstens befinden wir uns in einem
Strukturwandel, der Chancen und Risiken birgt. Zweitens agieren unterschiedlichste Stakeholder mit ihren Lobbygruppen lautstark für ihre Interessen. Wie kommt man hier zu einem Kommunikationsprozess an dessen Ende ein spannendes Ergebnis für alle steht? Wir führten ein Interview mit Kantonsbaumeister Beat Aeberhard vom Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt.

Die urbaneren Zentren der Schweiz wachsen, so auch Basel. Es steht immer weniger Platz zur Verfügung. Sprengt das Wachstum die Grenzen der Stadt?
Die steigende Zahl der Bevölkerung und die stark wachsende Zahl von Arbeitsplätzen im Raum Basel sind eine Tatsache. Ich will aber zunächst etwas Wasser in den Wein Ihrer Argumentationsfigur schütten, wir hätten in Basel zu wenig Platz. Das ist ein Mythos: In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts ging es in Basel viel enger zu. Mehr Menschen lebten hier auf deutlich engerem Raum.

Das hat mit deutlich gestiegenen Komfortansprüchen zu tun.
Ja, das Problem ist nicht der Platz. In Basel sind wir zudem in der komfortablen Situation, viele Transformationsareale zur Verfügung zu haben. Das betrifft weit über 100 Hektaren. Konkret geht es um Industrie-, Hafen-, Gewerbe- oder Verkehrsareale, die nicht mehr benötigt werden.

Woran macht sich diese Transformation in erster Linie fest?
Der Grund liegt im Strukturwandel der Wirtschaft. Neue Nutzungen werden denkbar. Wobei die neuen Nutzungen sehr unterschiedlich ausfallen können. Es geht um eine Verdichtung von Flächen, die die Industrie nicht mehr braucht.

Zudem braucht es im Zeitalter der Klick-Käufe auch weniger Verkaufsfläche.
Der Detailhandel befindet sich ohne Frage im Umbruch. Die grossflächigen Anbieter, wie aktuell etwa der Interdiscount am Basler Marktplatz, verkleinern ihr räumliches Angebot drastisch. Die Branche ist im Umbruch. In Basel kommen neben dem Online-Handel auch noch Faktoren wie der Einkaufstourismus dazu.

Das sind harte Zeiten für Detailhändler. Wo liegt das rettende Ufer?
Die Konsumentinnen und Konsumenten suchen weiter das Erlebnis in der Innenstadt. Das ist eine Chance. Der Detailhandel muss sich dazu aber neu erfinden. Es gilt, auf kleineren Flächen mehr Erlebnisse zu kreieren und Kommunikationsräume zu schaffen. Der Apple-Store ist dafür ein Beispiel. Ich kann dort in passender Atmosphäre die Produkte ausprobieren. Oder nehmen Sie das Beispiel eines klassischen Kauftempels wie dem Globus: Früher gab es Lebensmittel nur im Untergeschoss. Heute können Sie eine Gin-Degustation in der Herrenabteilung geniessen. Und schon fällt die Kaufentscheidung leichter…!

Ich komme nochmals auf das Thema Flächen zurück. Diese haben wir ja bisher gegen den Strich diskutiert. Aber jetzt gibt es ja, wenn wir auf das Thema Wohnen schauen, eine Gegengeschichte. Es gibt heute kaum noch Platz für billigen Wohnraum. In urbanen Zentren der Schweiz und auch Europa können sich ganze Bevölkerungsgruppen nicht mehr eine Wohnung leisten. Sie werden in die Peripherie gedrückt und schon sind wir beim Stichwort Flächenfrass.
Das ist für mich keine Gegengeschichte, sondern eine logische marktwirtschaftliche Konsequenz. Die Städte sind heute im Gegensatz zu den Sechziger- bis Achtzigerjahren wieder hoch attraktiv. Damals war man stolz auf das Haus im Grünen und hat im Supermarkt auf der Wiese eingekauft. Zur Arbeit ist man gependelt. Heute schätzen es die Leute wiederum sehr, in der Stadt zu wohnen und zu arbeiten. Wobei wir in Basel eine Steigerung von Arbeitsplätzen haben, die das Wachstum der Einwohnerzahl übertrifft. Die Preissteigerungen sind letztlich Ausdruck eines Booms: Die Stadt ist schlicht sehr attraktiv. Weitere Preis­treiber sind neben den tiefen Hypozinsen der wachsende Flächenverbrauch pro Person und die schon angesprochenen Komfortansprüche.

Und jetzt kommen Sie ins Spiel?
Ja, die Politik und die Verwaltung, wie wir vom Bau- und Verkehrsdepartement, müssen schauen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Es gilt, verträgliche Bedingungen für alle zu schaffen.

Aber Wohnungspolitik ist ja ein umkämpftes Feld?
Weite Teile der Bevölkerung sind verunsichert. Die Mehrheit hat den Wohnschutzinitiativen zugestimmt. Das Gewerbe stöhnt unter der Last der Preissteigerungen. Zudem befindet es sich in einem Strukturwandel. Nun ist es unsere Aufgabe, einerseits die legitimen Interessen von Investoren zu berücksichtigen und gleichzeitig für das öffentliche Interesse einzustehen.

Was bedeutet dies konkret?
Das heisst beispielsweise, dass in den Transformationsarealen auch Gebiete für das nicht wertschöpfungsintensive Gewerbe ausgeschieden werden und dass – wo geeignet – der genossenschaftliche Wohnungsbau zum Zug kommt. Im Kantonalen Richtplan ist verankert, dass wir «mindestens ein Drittel preisgünstigen Wohnraum in Arealentwicklungen» zur Verfügung stellen. Der Kanton hat weiter einen Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen. Auch dazu braucht es Flächen. Da können wir mit verschiedenen Mechanismen steuernd eingreifen. Unsere Aufgabe ist, einen Interessenausgleich zu erreichen. Sonst bleibt der Satz von der Stadt, in der wir alle leben können, eine leere Floskel.

Das hört sich theoretisch schön an. Ist nicht die Praxis durch Interessenkonflikte zwischen machtpolitischen Akteuren und den unterschiedlichen Bedürfnissen, was die Themen Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Freizeit betreffen, definiert?
Da liegen Sie richtig. An einem so hoch attraktiven Standort wie Basel geht es unter dem Strich um Flächenkonkurrenz. Da gibt es die grossen, mächtigen Player der Wirtschaft, sie vertreten die produktive Stadt. Als «Gegenspieler» nenne ich beispielhaft die Genossenschaften, die die Wohnstadt vertreten. Weiter gibt es die KMU mit dem Gewerbeverband als Interessenvertretung. Auch die grossen Grundeigentümer, wie die Christoph-Merian-­Stiftung oder die SBB, legen ihre Gewichte in die Waagschale. Es gibt weitere Player, wie die Hafenwirtschaft oder die Logistiker, die man nicht sofort auf dem Schirm hat. Vergessen dürfen wir nicht den Kanton. Er besitzt Boden und Gebäude, muss aber auch die Weiterentwicklung der Infrastruktur im Auge haben.

Das ist ein Schiff mit vielen Steuermännern. Wie kann man sich nun den Entscheidungsprozess vorstellen und welche Rolle hat Ihr Departement dabei?
Unsere Rolle besteht darin, die professionelle Moderation in einem demokratischen Entscheidungsprozess einzunehmen. Wir setzen die unterschiedlichen Bedürfnisse von verschiedenen Akteuren in Beziehung. Das ist nicht immer einfach, da wir beispielsweise einerseits mit Widerstand gegen Verdichtungen im Bestand konfrontiert sind und andererseits vom Gewerbe politischen Druck spüren, wenn deren Interessen tangiert sind. Es braucht Offenheit von allen Seiten. Was mich in diesem Zusammenhang nervt, sind unproduktive Stellvertreterkriege. Wir brauchen produktive Prozesse.

Trotzdem sind Sie in einer ungemütlichen Sandwichposition. Wie können Sie sich daraus befreien?
Indem wir für das jeweilige Areal die richtige Programmierung entwickeln. Es geht um eine städtebauliche Vorstellung, die dem Kontext und den unterschiedlichen Interessen entsprechen. Nicht jeder Platz eignet sich für Wohnungen oder Hochhäuser. Manchmal wie am Dreispitz machen Hochhäuser aber durchaus Sinn, insbesondere wenn dafür grossflächige Freiräume entstehen. Es geht darum, in bester Schweizer Tradition einen Kompromiss zu finden.

Die Entscheidungsprozesse können aber nicht wie in China von oben nach unten durchgedrückt werden?
Und wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen eine Behörde verfügt. Das muss sie zwar am Ende eines Prozesses aufgrund der Gesetzeslage tun. Wir sind aber in der Stadtentwicklung sehr viel erfolgreicher, wenn wir die Dinge aushandeln. Zum Beispiel kann es an gewissen Orten für einen Investor interessanter sein, preiswerten Wohnraum anzubieten statt hochpreisiger Lösungen. Mit unserer Kenntnis der Stadt können wir auch Hilfestellung leisten. Von Anfang an ist das Gespräch mit der Bevölkerung und unterschiedlichen Stakeholdern wichtig. Zonenplan­änderungen und Bebauungspläne müssen immer eine demokratische Mehrheit hinter sich wissen. Es kann immer ein Referendum geben.

Wie funktioniert der Austausch mit den Beteiligten?
Ganz einfach. Wir laden sie ein.

Lassen Sie uns Ihren Ansatz einer integralen Raumplanung nochmals an einem Beispiel verdeutlichen und holen dort die Verkehrspolitik mit an Bord. Auch beim Thema Mobilität gibt es ja unterschiedlichste Interessen. Ein urbaner Hipster kommt mit dem Velo in sein Quartier, zum Beispiel in Basel im Gundeli. Dagegen braucht ein klassischer Vertreter hier in Muttenz sein Auto und seinen eigenen Parkplatz. Wie kommt diese Gemengelage zusammen?
Nehmen Sie die Nordspitze des Dreispitzes. Sie ist heute eine Parkplatzwüste – ein suburbaner Raum, wo die Leute hinfahren, einkaufen und wieder wegfahren. Nun stellt sich die Migros den wandelnden Bedürfnissen und begreift, dass der Boden nur für eine Parkplatznutzung viel zu kostbar ist. Die Lösung besteht in einer intelligenten Verdichtungsstrategie und einer Erweiterung des Angebots: Auf dem Dach des heutigen Shopping-Centers soll ein neuer öffentlicher Raum entstehen. Die Parkplätze werden zu Grünräumen umgewandelt, wobei der Bestand gehalten wird. Sie werden neu in einem Gebäude angeboten. Zudem liegt der Ort so attraktiv, dass er sich auch für neuen Wohnraum eignet. In den neuen Gebäuden werden somit auch Menschen einziehen, die auf neue Mobilitätsmodelle setzen, sprich kein eigenes Auto brauchen oder Sharingmodelle bevorzugen.

Jetzt steht das immer wieder bemühte Schreckensszenario eines autofreien Stadtteils im Raum.
Nein, in dem gerade geschilderten Beispiel ist beides möglich. Das Auto und das Velo kommen zum Zug. Einfallsreiche Detailhändler erschliessen sich durch die unterschiedlichen Zielgruppen neue Kundensegmente.

Zusammengefasst heisst dies?
Neue Nutzungskonzepte schaffen Mehrwert für alle Beteiligte.

Trotzdem haben Sie immer noch das Etikett des Bürokraten an der Backe.
In meiner Funktion als Kantonsbaumeister braucht man einen langen Atem. Natürlich gibt es auch Bürokratie. Das hat aber viel mit einer wachsenden Komplexität und einer Vielzahl von Akteuren zu tun. Das Netz von Vorschriften wird dichter, umso wichtiger ist es, die Kreativität am Leben zu halten. Wir denken durchaus kreativ und mutig, wenn Sie sich die Konzepte der neuen Areale wie Volta Nord, Dreispitz Nordspitze, Wolf oder das Rosental-Areal anschauen. Es gilt Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit zu gewährleistet.

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