Auf einem Panel an der Swissbau mit dem Thema «10-Millionen-Schweiz – Neue Chancen oder Dichtestress?» war Tilla Künzli aus dem Vorstand von Urban Agriculture Basel eine Exotin. Ihre zentrale Eingangsthese kreiste um die Forderung nach einer «essbaren Stadt». Moderator Franz Fischlin verstand zunächst «S-Bahn». In der Folge wurde aber schnell klar, dass hier der theoretische Raum der Stadtsoziologie schnell verlassen wurde. Es geht um uns, die wir in urbanen Räumen leben, und unser Verhältnis zu Lebensmitteln. Das Thema hat noch viel Luft nach oben, wie die beiden folgenden Beiträge zeigen.

Fast alle kennen das Thema Urban Gardening. Wer will heute nicht mehr von der Farbe Grün in den Städten sehen? Dabei sind verkümmerte Zierstauden in Waschbetonbehältern eher eine Lösung von gestern. Gerne können es bunte Blumen, aber auch mal eine Fläche mit Lavendel sein.

Die Urban-Agriculture-Bewegung geht hier noch einen Schritt weiter. Sie basiert auf der Idee, dass Stadtmenschen mehr können, als unkritisch zu konsumieren, was der Grossverteiler in die Regale der Discounter legt: Wir können städtische Nischen finden, selbst Lebensmittel produzieren, uns zu solidarischen Vertragslandwirtschaftsprojekten zusammen zu schliessen und dabei diskutieren und lernen, was für eine Art von Landwirtschaft wir wollen. Wir können uns gemeinsam organisieren und uns aktiv darum kümmern, dass uns unsere Lebensmittel guttun und aus nachhaltigen Kreisläufen stammen und damit auch regionale Wertschöp­fungsketten stärken.

Das Beispiel einer Peperoni
Was heisst dies in unserem stressigen ­Alltag? Abendlicher Einkauf beim Gross­verteiler: Ich erfahre nicht viel über die Peperoni, die ich mir heute Abend in den Salat schnippeln werde. Vielleicht ist sie ja auch schon zerteilt und wartet in Plastik verschweisst nur darauf, in eine Salatschüssel geschüttet zu werden. Das läuft unter dem Stichwort Convenience Food.

Schauen wir uns die Peperoni genauer an: Der Preis beträgt 3.70 CHF, Herkunftsland ist Spanien, der Anbau erfolgt in ­einem ­Gewächshaus. Ausserdem finden wir noch die Adressen von Produzent und Lieferant.

Mehr brauche ich als Stadtmensch nicht zu wissen über die Produktion der durchschnittlich 870 Kilogramm Lebensmittel, die ich jährlich verspeise. Und selbst wenn ich mehr Informationen wollte, wo würde ich sie finden? Der südspanische Herkunftsort meiner Peperoni liegt immerhin 17 Autostunden von meinem Zuhause entfernt. Kennen wir die ökologischen Verhältnisse und sozialen Arbeitsbeziehungen unter den Plastikwelten in Andalusien? Unsere Beispielpaprika kommt von dort. Wir wollen das lieber nicht wissen. Aber auch in die Gewächshäuser, Schlachthöfe oder Ställe in Velodistanz verschlägt es mich selten.

Aus Utopie wird Praxis
Als Stadtmenschen wissen wir wenig da­rüber, wie und mit welchen Konsequenzen unsere Lebensmittel hergestellt werden. Muss das so sein? Lassen wir unsere Fantasie spielen. Was wäre, wenn die Städte zu Gärten würden, und wir uns als Städter zu Gärtnern entwickeln? Wenn in den privaten und öffentlichen Grünräumen Obstbäume stehen, sodass wir die Apfelsaison erleben können und nicht nur die Apfelaktion im Supermarkt? Wenn Gemüse wächst in den städtischen Blumenbeeten, sodass alle wissen, wie eine Brokkolipflanze aussieht, bevor sie in Plastik verschweisst im Regal landet? Wenn wir Pilze züchten im Keller und Bienen halten auf dem Dach, wenn wir im Hinterhof Abfälle kompostieren und zwischen den Häuserzeilen Gemüse kultivieren? Wenn wir anfangen, uns für ­unsere Lebensmittel zu interessieren und Beziehungen aufbauen zu jenen, die sie produzieren? Meine Salate, so viel ist sicher, würden nie mehr die gleichen sein.

Vorurteile widerlegen
In Diskussionen schimmern immer wieder zwei Vorurteile durch. Nein, bei uns muss nicht jeder Landwirt oder Gärtnerin werden. Es geht in erster Linie um einen Lern- und Kommunikationsprozess, bei dem am Ende ein kulinarisches Erlebnis steht. Und zweitens geht es bei uns nicht um das Befördern einer abgeschlossenen Subsistenz­wirtschaft. Wir wollen nur eine andere ­Globalisierung. Auch uns schmeckt Olivenöl aus Spanien. Es kommt aber in Bioqualität aus einer genossenschaftlichen Kooperative, die wir kennen.

Traumstadt mitgestalten!
Damit Schweizer Städte zukunftsfähig weltverträglich (resilient, subsisten und suffizient) umgestaltet werden kann, braucht es aktive Menschen in Nachbarschaften, Quartieren und Städten – letztlich im ganzen Land. Bestehende Parteien und Verbände sind oft in einem Geflecht von Sonderinteressen gefangen. Sie brauchen Impulse und Druck von aussen. Urban Agriculture Netz Basel ist eine unabhängige Bürgerinitiative, eine bottom-up «grass-root-movement», die zu diesem Zweck gegründet wurde. In Basel kann man sich in vielfältigen Rahmen und Schwerpunktaktivitäten beteiligen. Die Aktivistinnen und Aktivisten des Urban Agriculture Netz Basel geben gerne Auskunft. Zum Beispiel gibt es Entfaltungsmöglichkeiten bei Urban Bees Basel, dem Foodsharing, auf Nutz­dächern, in Generationengärten oder im Gemeinschaftsgarten Landhof.

Akteure und Strukturen
Das Urban Agriculture Netz Basel verbindet über 50 Urban-Agriculture-Projekte in Basel und Umgebung. Ziel ist es, Wissen und Know-how zu teilen, Synergien zu nutzen, Energie zu bündeln und Anliegen mit einer starken Stimme nach aussen zu kommunizieren. Der Vorstand bearbeitet Anfragen von den Medien und von Menschen, die sich engagieren wollen, pflegt den Kontakt zu den städtischen Behörden. Zu den über 50 Projekten gehören

  • die Schlemmergärten, ein Projekt der Kontaktstelle für Arbeitslose: Menschen kultivieren Gemüse und unterstützen sich gegenseitig.
  • der Gemeinschaftsgarten Landhof: Mitten in der Stadt wird auf 200 Quadratmetern gemeinsam gegärtnert.
  • die Lebensmittelgemeinschaft Basel, eine Foodcoop.
  • das Biobistro, das einzige mit Knospe zertifizierte Restaurant in der Stadt.
  • die alte Markthalle Basel – eine kulinarische Oase: lokal, sozial, ökologisch.
  • die Nuglar-Gärten, eines mehrerer Projekte solidarischer Vertragslandwirtschaft.
  • der NetzBon, lokale Währung für eine lokale, soziale und ökologische Ökonomie in allen Urban-Agriculture-Basel-Projekten und rund 130 Basler Betrieben.

Der UANB-Vorstand ist eine engagierte und bunt gemischte Gruppe, der unter anderem leidenschaftliche Gärtner/innen, kompetente Biologen/innen, zwei emeritierte Professoren, ein auf IT-spezialisierter Geisteswissenschaftler, eine Künstlerin und Projekt-Spezialistin, eine Lehrerin und dreifache Mama, eine Texterin, ein passionierter Autodidakt in Ausbildung und eine Expertin für ­interkulturelle Kommunikation angehören.

Weitere Informationen:
www.urbanagriculturebasel.ch
www.facebook.com/urban.agriculture.basel