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Wie wär’s mit Tolerspekt?

Andreas Breschan ist CEO der Hörmann Schweiz AG.

von Andreas Breschan

Kennen Sie das? In Management-Kreisen jagt ein Modewort das andere. Wer nicht auf den Zug aufspringt und differenziert in passender Gesellschaft intelligente Statements zum jeweiligen Modewort abgibt, gehört nicht dazu oder macht zumindest den Eindruck, nicht auf dem Laufenden zu sein.

Zum Beispiel war vor einiger Zeit permanent die Rede von Disruption. Plötzlich waren alle Entwicklungen disruptiv, die Zukunft gehörte nur noch sogenannten «Disruptors». An allen Führungstagungen, Podiumsdiskussionen und Businesstalks war immerfort die Rede von disruptiven Entwicklungen, auf die man sich nun unbedingt sofort einstellen müsse, wollte man die nächste Dekade als Unternehmung überleben. Das Thema konnte einem so richtig zum Hals heraushängen, so sehr, dass sich mit der Zeit sogar mein Gemütszustand «disruptiv» veränderte, wenn wieder jemand anfing, die ganz natürliche Evolution eines Fachgebiets als Disruption zu verkaufen. Nicht selten habe ich mich dann gefragt: Haben es denn Manager, die sich anbahnende Veränderungen als Disruption empfinden, nicht einfach versäumt, die Zeichen der Zeit zu erkennen? Sich frühzeitig mit den Trends der Zukunft zu beschäftigen? Oder – wie meine Jungs sagen würden – die Entwicklung voll verpennt? Wahrscheinlich ging es nicht nur mir so. Auf alle Fälle ist das Thema nicht mehr en vogue, obwohl es natürlich für Manager überlebenswichtig bleibt, sich von der tatsächlichen Disruption, die in einigen Bereichen im Gange ist, nicht überraschen zu lassen.

Weiter geht’s mit Resilienz. Als logische Folge von Disruption ist natürlich Resilienz gefordert. Trendforscher, Arbeitspsychologen und Coaches haben doch tatsächlich herausgefunden, dass es einer gewissen Widerstandskraft bedarf, um sich in einem Umfeld von Konkurrenzkampf und stetem wirtschaftlich-gesellschaftlichem Wandel zu behaupten. Also erheben wir Resilienz kurzum zum neuen Trend, denn Disruption ist ausgelutscht. Alles spricht nur noch von resilienten Unternehmen, resilienten Managern, resilienten Mitarbeiter*innen, resilienten Eltern et cetera. Ganz so, als ob wir erst seit Kurzem Widerstände und schwierige Situationen zu meistern hätten. Wenn ich da zum Beispiel an meinem Opa denke, der im Österreich der Nachkriegszeit als Teilinvalider eine elfköpfige Familie über Wasser hielt – das nenne ich mal Resilienz! Oder unsere Vorfahren, die wilde Tiere mit der Hand erlegten, um zu essen. Deren Widerstandsfähigkeit war mindestens genauso gefordert wie unsere heute. Nur waren ihre Ansprüche und Erwartungen an Komfort und Sicherheit eben nicht so hoch.

Was folgt auf Resilienz? Ich hätte da einen Vorschlag: Wie wär’s mit «Tolerspekt»? Ja, richtig, eine Mischung aus Toleranz und Respekt. Wie ich darauf komme? Wenn man in der Presse verschiedene Vorkommnisse verfolgt, die mit dem Wandel unserer Gesellschaft verknüpft sind, fällt auf, dass der Ruf nach Toleranz immer lauter wird, gleichzeitig andere Meinungen aber nicht respektiert werden. Es entsteht der Eindruck, dass dem einzelnen Individuum immer öfter das Recht verweigert wird, anderer Meinung zu sein. Oder dürfen wir nur noch für etwas, aber nicht mehr gegen etwas sein? Dabei würde Toleranz doch genau bedeuten, andere Meinungen zu respektieren. Kontroverse Diskussionen werden dadurch unterdrückt – und das behindert letztlich den Fortschritt.

Gerade in der Unternehmung ist es wichtig, eine Kultur der respektvollen Toleranz zu pflegen. So wird die bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Standpunkten und Überzeugungen als kreativer Impuls genutzt, was am Ende alle weiterbringt. Eine Führungskraft mit einer Horde von Jasagern ist auf sich allein gestellt. Wir müssen wieder lernen, dass es völlig in Ordnung ist, mit unterschiedlichen Standpunkten in die Diskussion zu gehen, Argumente auszutauschen und sich wieder zu trennen, ohne dass eine Seite ihren Standpunkt aufgeben muss. «Ich bin okay – du bist okay» heisst es dann, und nicht «ich bin progressiv und du ein Hinterwäldler». Zu wissen, wie wir diese Unterschiede als Bereicherung sehen und tolerant mit ihnen umgehen können, um im gegenseitigen Respekt gemeinsam vorwärtszuschreiten – das verstehe ich unter Tolerspekt. Wie wär’s damit als neuem Trend?

Weitere Informationen:
www.hoermann.ch