Die Diskussion um mehr Dichte und gleichzeitigen Stopp des immensen Landschaftsverbrauchs wurde in den Fünfzigerjahren durch ein bekanntes Autorenensemble vorausschauend angestossen. Wovor Fachkreise kontinuierlich gewarnt und was Bundesstudien konstant belegt haben, ist Realität geworden: Die Baulandreserven sind knapp. Ebenso intensiv wie der Verbrauch ist gleichzeitig die Suche nach neuen Lösungsstrategien für eine Verdichtung nach innen sowie die Freispielung neuer Nutzungspotenziale. Der folgende Text bringt einen zusätzlichen Vorschlag in die Debatte ein.

Zunächst geht es um eine Bestandesaufnahme. In «achtung: Die Schweiz» von 1954 macht sich ein Autorenkollektiv unter der Leitung von Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kutter Gedanken um den gesellschaftlichen Zustand der Schweiz. Es bemängelt dabei, dass es keine klare gemeinschaftliche Idee für die Zukunft des Landes gibt. Es fehlt der Wille dafür, aus der jungen Confoederatio Helvetica eine Nation mit Zukunftsplänen zu schmieden. Innerhalb der umfassenden Diskussion kommt der Raumplanung und dem Bauwesen eine besondere Wichtigkeit zu. Veraltete Baugesetze verunmöglichen dem Bürger, so zu wohnen, wie er möchte 1 und erschweren eine fortschrittliche, städtebauliche Planung.

Der Geschwindigkeit des produktiven und gesellschaftlichen Wandels gegenläufig, bestehen die Baugesetze, Verordnungen und Regeln, dazumal wie grösstenteils heute, auf der modernen Idee der Dezentralisierung.2 Raumplanung auf Bundesebene existiert in den Fünfzigerjahren bereits, jedoch dominieren zwei andere Wertvorstellungen das Bauwesen: Liberalismus und Föderalismus. Jeder soll und darf bauen, wie und vor allem wo er will. Und was in A gilt, muss in B nicht zwingend dasselbe sein. Was dereinst passiert, wenn die Siedlungsräume und Bauzonen zur Neige gehen, der Nachbar heranrückt und ein Grossteil der intakten Natur nicht mehr nur dem Genuss dient, sondern bereits für Überbauungszwecke hinhalten musste, liegt nicht im Fokus der Wirtschaftlichkeit. Zukunftsgerichtet hat sich das Kollektiv damals gefragt, wie wir denn wohnen möchten, «in dieser Zeit, die sehr viele Menschen auf engem Raume vereinigt, wie?»3 Interessanterweise ist die Frage 60 Jahre später dieselbe geblieben. Fachleute sind sich dabei einig: Der verschwenderische Umgang mit den Bodenressourcen soll in geregelte Bahnen gebracht werden, um auch zukünftigen Generationen genügend qualitativ hochwertigen Lebensraum bereitzustellen. Es braucht dazu Verdichtung. Wir dürfen uns wieder näherkommen, nur wie?

Dichte ist nicht gleich Dichte
Gehaltvolle Studien, Analysen und proaktive Vorstösse stehen in der Zwischenzeit tatbereit niedergeschrieben. Innerhalb der föderalistischen Planungsdiversität sind bereits erfolgreich umgesetzte Konzepte ein zukunftsweisender Schritt. Und nicht zuletzt zeigen die vielen Initiativen rund um das Thema Raumplanung (Zweitwohnungs-, Kulturland-, Landschaftsinitiative), dass der Status quo mittlerweile auf Volksebene wahrgenommen wird. Wenn die Begehren auch als blosse Reaktion auf widrige Umstände zu verstehen sind, helfen sie doch, den Prozess in Gang zu halten. Es sei an dieser Stelle auf das revidierte Raumplanungsgesetz des Bundes verwiesen.4

Zu den Fakten: Anhaltspunkte, wie unser Wohn- und Siedlungsraum zu verdichten ist, respektive, wo die grössten Potenziale liegen, liefert eine Studie des Institutes für Raum- und Landschaftsentwicklung (IRL) der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) Ende 20125: Potenzielle Bauzonenflächen werden in vier Kategorien unterschieden. Es gibt erstens 6 000 bis 17’000 Hektar «unbebaute Reserven». Das sind unbebaute Bauzonenflächen innerhalb des weitgehend überbauten Gebiets. 700 bis 5 500 Hektar «bebaute Potenziale» stellen den zweiten Bereich dar. Diese entsprechen dem Umnutzungspotenzial auf bereits bebauten Flächen, wie zum Beispiel Brachen. Drittens werden «Geschossflächenreserven» von 13’000 bis 33’000 Hektar ausgemacht. Das ist in erster Linie ein Ausbaupotenzial auf bebauten Flächen aufgrund planungsrechtlich nicht vollständig ausgeschöpfter zulässiger Ausnutzung. Dazu kommen als vierter Punkt 7 000 bis 23’000 Hektar unbebaute Bauzonenfläche ausserhalb des weitgehend überbauten Gebiets.

Die Baugesetz-Tauschbörse
An der Ausstellung «Architektur 0.15»6 (30. Oktober – 3. November 2015, Maag-Halle Zürich) hiess die Leitfrage: «Wie stellen wir uns die architektonische Schweiz der Zukunft vor?» Dies bot die Möglichkeit, sich vertieft mit der aktuellen Planungssituation auseinanderzusetzen. Schnelli Meier Blum Architekten haben in ihrem Beitrag das Thema der inneren Verdichtung aufgegriffen. Uns interessierten dabei primär die erwähnten «Geschossflächenreserven». Diese sind schon erschlossen und mittelfristig nutzbar. Doch wie können wir sie aktivieren? Wir möchten nicht langwierige politische Prozesse mit neuen Gesetzesvorschlägen in Gang setzen, sondern innerhalb der geltenden Bestimmungen dynamische Prozesse und die Motivation zur Partizipation der Bürger fördern. Die verschiedenen Instrumente der gesetzlichen Regulierung verstehen wir als Momentaufnahmen eines aktuellen oder vergangenen Zeitgeistes und dessen Konventionen. Die Anpassung derselben ist an das jeweilige politische Klima gebunden und geschieht in zeitlich abstrakten Abständen.

Innerhalb der Ausstellung regten wir mit einer «Baugesetz-Tauschbörse» an, die schon existierenden Gesetze in der Anwendung zu optimieren, um flexibler auf aktuelle Notwendigkeiten reagieren zu können. Wir sagen: Das inhärente Potenzial des gemeinschaftlichen, situativen Interesses wird innerhalb der bestehenden Gesetzgebung schlecht genutzt. Der Zusammenhang zwischen der Morphologie des Siedlungsraumes und den Baugesetzen ist unmittelbar. Mit der Tauschbörse kann ein Anreiz für eine flexiblere Nutzung der inneren Flächenreserven gesetzt werden.

Das grundlegende Prinzip unseres Ansatzes der Baugesetzbörse ist der Tauschhandel. Parzellenbesitzer können innerhalb derselben Bauzone ihr ungenutztes, bauliches Potenzial, welches durch Nicht-Ausschöpfung der Baugesetze meist vorhanden ist, miteinander abtauschen und in gegenseitigem Einverständnis handeln. Nehmen wir, um den Praxisbezug zu verdeutlichen, ein Fallbeispiel: Herr X hat die zulässige Ausnützungsziffer auf seinem Grundstück erreicht. Er möchte erweitern. Seine Nachbarin, Frau Y, plant ein hohes, schlankes Gebäude. Aufgrund der geltenden Maximalhöhe ist sie in der Planung eingeschränkt. Die beiden kommen ins Gespräch und entscheiden sich für einen Handel: Frau Y tritt Prozente ihrer möglichen Ausnützung an Herrn X ab. Dieser erlässt ihr im Gegenzug die maximale Gebäudehöhe.

Die Gesamteinheit der zugelassenen baulichen Menge bleibt dabei gleich. Das Baugesetz-Volumen wird nicht quantitativ erhöht, sondern die Möglichkeiten innerhalb des Bestehenden werden zugänglicher: Die tauschbare Einheit ist beschränkt auf das Potenzial, welches auf der eigenen Parzelle nicht genutzt wird. Handelbare Elemente sind nicht kategorisiert. Jeder Bieter kann abwägen, welchen «Wert» er für den gewünschten Abtausch einsetzen möchte. Die Möglichkeit eines Tauschhandels soll Bewohner animieren, partizipativ am inneren Verdichten mitzuwirken. Ein frühes In-Kontakt-Treten zwischen Bauherren ermöglicht kurzweiligere Planungsprozesse und kann spätere juristische Schritte, wie Einsprachen verhindern. Durch eine präzisere planerische Anordnung und ein spezifischeres Reagieren auf den Kontext entstehen Möglichkeiten für effizientere städtebauliche Konstellationen und eine höhere Ausschöpfung der Ausnützung. Langfristig werden sich umso mehr Parteien für Orte interessieren, an denen eine offene Tauschkultur herrscht. Dies führt zu einer zusätzlichen Dynamik im Prozess der inneren Verdichtung. Mit dem Verzicht auf eine monetäre Handelswährung wird (bei unpassenden Tauschmöglichkeiten) zwar auf einen Teil des Potenzials verzichtet, doch wird verhindert, dass Parzellenbesitzer mit grösseren finanziellen Möglichkeiten eine Dominanz entwickeln können.

Anhand des Ausstellungs-Beitrages zeigten wir den Besuchern mit vier verschiedenen Fällen (I:  Masse gegen Höhe, II:  Aussicht gegen Länge, III: Erkeranteil und Kniestockhöhe, IV:  Aufgehobener Grenzabstand) auf, wie die Baugesetzbörse praktisch funktioniert. Neben schematischen Darstellungen gaben zwei Betonmodelle physisch Auskunft über den Wandlungsprozess innerhalb gängiger Bauzonen nach Anwendung des Prinzips. Sie illus-trierten auf zugängliche Art die morphologischen und inhaltlichen Erkenntnisse. Wir verstehen dieses Gedankenexperiment als einen zusätzlichen Ansatzpunkt in der Debatte zur inneren Verdichtung des Baubestandes. Dichte ist interessant und muss salonfähig werden. Mehr Interaktion ist nötig, mehr Offenheit gefragt. Es ist wichtig, aktuellen Vorbehalten mit konkreten Planungsvorschlägen zu begegnen. Es bedarf, ganz nach Burckhardt, Frisch und Kutter, mehr denn je eines neuen schweizerischen Selbstverständnisses, einer neuen Idee der Schweiz.7

Anmerkungen
1,3,7 Vgl. Burckhardt, Lucius; Frisch, Max; Kutter, Markus; et al.: achtung. Die Schweiz. Ein Gespräch über unsere Lage und ein Vorschlag zur Tat, 1954.
2 Vgl. Kurz, Daniel: Versteinerte Ideologie. Baugesetze erschweren Städtebau, in: werk, bauen und wohnen 10-2015, S.25, Zürich, 2015
4 Vgl. http://www.are.admin.ch/themen/recht/04651/index.html
5 Vgl. http://www.are.admin.ch/themen/raumplanung/00236/00420/index.html
6 Vgl. http://www.architektur-schweiz.ch