Für abgelegene Dörfer und Gemeinden kann die Digitalisierung ein Segen sein – beispielsweise was die Versorgung angeht.

Die Kluft zwischen Stadt und Land ist in der Schweiz teilweise gross: Ländliche
Regionen sind oft benachteiligt, was Infrastruktur, Versorgung, Verkehr und Arbeit angeht. Kann die Digitalisierung helfen, dass auch periphere Regionen im übertragenen Sinne näher an die Städte heranwachsen und den Anschluss finden?

Das Thema Digitalisierung ist ein allseits diskutierter Megatrend. Für Technik und Fachplanungen kristallisieren sich die Entwicklungsstände allmählich heraus. Doch wie sich ein allgegenwärtiges mobiles Internet, kleine, leistungsfähige und bezahlbare Sensoren, bisher ungekannte Datenmengen, sowie Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen auf den Raum und die Raumplanung auswirken, ist momentan noch kaum erforscht. An der Hochschule für Technik in Rapperswil (HSR) forschen deswegen das Institut für Raumentwicklung und das Institut für Freiraum- und Landschaftsplanung gemeinsam an den
Auswirkungen der Digitalisierung auf die Raum- und Landschaftsentwicklung.

Das Forschungsprojekt NUDIG erforscht den Nutzen der Digitalisierung für eine nachhaltige Landschafts- und Raumentwicklung. Ziel ist es, folgende Frage zu beantworten: Wie kann es die Digitalisierung ermöglichen, dass sich Siedlungsgebiete, Verkehr und Landschaft nachhaltiger entwickeln und zielgerichteter aufeinander abgestimmt werden? Dazu gehört herauszufinden, ob der Verkehr durch die zunehmende Automatisierung siedlungsverträglicher
wird und welchen Beitrag die Industrie 4.0 zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung leisten kann. Zudem gilt es zu analysieren, welche Aufgaben Ortsund Stadtzentren zukünftig übernehmen können in Anbetracht der Konkurrenz des zunehmenden Online-Handels. Auch erforscht das Forschungsprojekt, ob die «digitale Freizeitnutzung» dazu führen kann, die Landschaft ökologisch verträglicher zu nutzen.

Das Projekt der HSR geht auf dieses Thema ein und leitet daraus schlussendlich Handlungsempfehlung für die Planung der Regionen und Gemeinden ab.

POTENZIALE FÜR PERIPHERE GEBIETE
Im peripheren ländlichen Raum sind durch den Strukturwandel in den letzten Jahren einige Veränderungen aufgetreten. In vielen Rand- und Berggebieten stagnieren die Bevölkerungszahlen sowie die Wirtschaftsleistung, wenn sie nicht sogar sinken. Aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen und des Drucks der Online-Händler lohnt es sich für Betreiber von Versorgungseinrichtungen immer weniger, Standorte an abgelegenen Orten aufrechtzuerhalten. So streicht beispielsweise die Schweizerische Post ihre Poststellen und das Dorflädeli kämpft um schwarze Zahlen, falls es dieses überhaupt noch gibt. «Die Digitalisierung ist für viele Bewohner peripherer Regionen eine ‹Verheissung›. Die Ortsungebundenheit der Digitalisierung erlaubt es, auch in abgelegenen Tälern mit der Welt vernetzt zu sein und dort zu wohnen und zu arbeiten», so Prof. Dr. Dirk Engelke, Leiter des
Forschungsprojekts NUDIG.

Dies belegt auch eine breit angelegte Delphi-Studie. Die Ergebnisse und weitere Informationen zur räumlichen Wirkung der Digitalisierung finden sich im Blog von Raumdigital der HSR. Die Studie befragte zu den erwarteten Auswirkungen der Digitalisierung auf die Raumentwicklung
knapp 40 Expertinnen und Experten sowie insgesamt gut 300 Mitglieder folgender Berufsverbände: Fachverband für Raumplanerinnen und Raumplaner (FSU), Vereinigung Schweizerischer Ingenieure (SVI) und Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen (BSLA). Zwei Drittel der Expertinnen und Experten und der Berufsfachleute erwarten, dass die peripheren ländlichen Räume von der Digitalisierung profitieren werden. Knapp 20 Prozent der Expertinnen und Experten sehen aber auch Risikenund erwarten, dass diese Räume eher oder deutlich verlieren werden. Diese Einschätzung deckt sich mit der aktuellen Studie des SECO zu «Digitalisierung und Neue Regionalpolitik»1. Die Digitalisierung bietet für benachteiligte Regionen eine Chance, aber gerade auch dort sind die wirtschaftlichen Risiken für die Versorgungsbereitsteller besonders gross. Ein Päckli in ein abgelegenes Tal zu liefern, lohnt sich auch in Zukunft für die Logistikanbieter finanziell nicht. «Digitalisierung ist hier klar eine Chance für ländliche Räume», unterstreicht Prof. Engelke, «aber der Vorsprung der urbanen Gebiete wird bleiben. Ein einfaches Copy-and-Paste urbaner Angebote auf den ländlichen Raum wird nicht funktionieren, denn die Dichte an potenziellen Kunden und angebotenen Services ist im urbanen Raum nun einmal höher.»

HANDLUNGSANSÄTZE
Für diese Hürden gilt es, Lösungswege zu finden. Es könnte beispielsweise von Vorteil sein, wenn Gemeinden Standorte für sogenannte Microhubs bereitstellen. Diese könnten Kurier-, Express- und Paketdienstleistern die Versorgung der Gemeinde erleichtern und so die Dienstleistung rentabel machen. Wenn Gemeinden diese Stationen zusammen mit
Co-Working-Spaces planen, können sie auch die soziale Komponente zurückgewinnen, die zusammen mit dem Untergang des letzten Dorflädeli gestorben ist. Ausserdem schaffen Co-Working-Spaces lokale Arbeitsstellen, die das Leben im ländlichen Raum attraktiver machen. Dies trägt auch dazu bei die Wertschöpfung in der Region zu halten, um die Eigenständigkeit zu stärken. Und ganz nebenbei fahren Arbeitnehmer durch diese Nähe zum Arbeitsplatz weniger Personenkilometer, was den täglichen Schweizer Pendelverkehr entlastet.

Dies ist nur einer von vielen Ansätzen, die das Forschungsprojekt verfolgt. «Was die Digitalisierung für die ländlichen Räume bringt und wie Projekte umgesetzt werden, zeigen wir in den NUDIG-Pilotregionen auf», erläutert Prof. Engelke von der Hochschule in Rapperswil.

Anmerkung:
www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/
Publikationen_und_Formulare/Standortforderung/
studien/digitalisierung_und_NRP.html

raumdigital.hsr.ch