1000 Trees / Shanghai, China, 2020

Selten waren Grünräume so gefragt wie seit Beginn der Covid-19-Pandemie. Vor allem in Grossstädten fehlt vielen Menschen die Möglichkeit, in unmittelbarer Nähe raus aus der häuslichen Enge ins Grüne zu flüchten. Nicht nur steigt die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt nach Wohnungen mit Balkonen oder Gärten, auch Parks und öffentliche Grünflächen sind seither stärker frequentiert. Der Begriff der «gestressten Stadt» wird daher auch auf Stadtparks als «gestresstes Grün» erweitert. Das Deutsche Architekturmuseum widmet dem städtischen Grün nun eine Ausstellung.

Vor allem in den Millionenstädten zeichnen sich immer stärker die Folgen des Klimawandels ab. Sie sind mit erhöhten Feinstaubwerten und Lärmentwicklung sowie Überhitzung
(heat island effect) konfrontiert. Neue Studien belegen sogar eine Korrelation zwischen
Bevölkerungsdichte, Hitzeinseln und der Häufigkeit von Covid-19-Infektionen. Dennoch ist es keine Alternative, aufgrund der Klimaveränderungen nicht zu bauen, sondern neue Wege einzuschlagen und auf Anpassung und Reparatur der Stadt zu setzen. Die Begrünung
der Gebäudehülle ist eine Möglichkeit, über die bodengebundenen Grünflächen hinaus, die Stadtlandschaft zu reparieren. Das «unkalkulierbare Grün» bringt dabei zugleich Vorteile und Herausforderungen mit sich. Den kursierenden Vorurteilen wie hohe Herstellungs- und Pflegekosten stehen relativierende, in Zahlen nachweisbare positive Auswirkungen gegenüber: Grünräume sind nicht als Kostenfaktor, sondern als Mehrwert für die Gesundheit von Mensch, Stadt und Umwelt zu begreifen. Zahlreiche Studien belegen nicht nur eine langfristige Zunahme der Artenvielfalt von Flora und Fauna, sondern auch die
positive Veränderung des Stadtklimas. Die Herausforderung ist klar und längst keine Vision mehr: Je mehr Grünbauten sich über einen längeren Zeitraum etablieren und positiv bewertet werden, desto deutlicher ist die Botschaft. Es ist an der Zeit – viele Beispiele weltweit demonstrieren, dass es möglich ist!

Elemente der Ausstellung
Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt sammelt Ressentiments
gegen und Argumente für die Begrünung der Gebäudehülle. Sie liefert über wissenschaftliche Ergebnisse hinaus praxisorientierte Hinweise zur Begrünung von Bestandsgebäuden oder Neubauten. Sie zielt auf einen Austausch zwischen Ergebnissen der Technikforschung, Gestaltung, Gartenbau und den Anwendern ab. Viele innovative Techniken bewegen sich auf einem Hightech-Niveau – doch ebenso viele Anwendungen beweisen, dass mit dem Einsatz passender, einfacher Mittel und Methoden ebenfalls wirksame Massnahmen umgesetzt werden können. Die umfangreiche Sammlung von
häufig gestellten Fragen reicht darüber hinaus von Ergebnissen der Klimaforschung bis zu Fragestellungen der Förderung von Initiativen und des Engagements der Politik für infrastrukturelles Grün. Grüne Hauben auf Häusern und Wohnhöhlen, terrassierte Gartenanlagen an Palästen und auch Spalierbäume und Efeubewuchs an Fassaden sind keine Erfindungen der Gegenwart.

Die Geschichte des Gebäudegrüns verweist auf das enge Verhältnis von Haus und Baum über Jahrhunderte. Einen wichtigen Bestandteil der Ausstellung bilden in den letzten Jahren weltweit umgesetzte Grünbauten von Düsseldorf über Mailand bis Singapur. Sie demonstrieren nachdrücklich das Spektrum der Modelle und die Vielfalt der Anwendersysteme – in Abhängigkeit von den regionalen, klimatischen Bedingungen.

Das Deutsche Architekturmuseum nimmt die Ausstellung vor Ort zum Anlass, eine Reihe von Höfchen, die sich an die Ausstellungsräume anschliessen, zu begrünen. Die Höfchen waren bislang aus konservatorischen und ausstellungstechnischen Gründen meist zugebaut. In einzelnen Fällen war die Natur selbstinitiativ und hat sich bereits Raum verschafft. Andere wurden neu bepflanzt, um einzelne Systeme und Methoden der Begrünung zu zeigen und in der Langzeitwirkung zu erproben. Der Pflanzmonat
Januar ist nur bedingt attraktiv für Pflanzen, doch während der Laufzeit der Ausstellung
werden sich die Höfchen verändern: vom sichtbaren Pflanzsystem zum wuchernden Grün.

Call for Projects
Dass die Gebäudebegrünung längst zu einer deutschlandweiten Bewegung geworden ist, belegen die Ergebnisse eines Call for projects. Im Vorfeld der Ausstellung und während ihrer Laufzeit wurden deutschlandweit unbekannte Projekte gesammelt. Wo genau sind diese grünen Inseln, die dem klimatischen Verhältnis von Architektur, Bewohnern und Nutzern so positiv zuträglich und von den Strassen oft wenig einsehbar sind? Wer sind die Initiatoren, wie haben sie es angestellt und wozu dienen die grünen Dächer und Fassaden? Die Projekte werden während der Ausstellung nominiert und an deren Ende prämiert.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Umweltamt der Stadt Frankfurt am Main und der Forschungsabteilung des Planungs- und Beratungsbüros Arup «Green Building Envelopes».

Allroundtalent Fassadenbegrünung
Das Stadtklima ist heute geprägt durch Überwärmung und Luftverschmutzung. Beide Einflüsse treten nicht flächendeckend auf, sondern sind jeweils an hohe Bebauungs- und Verkehrsdichten gebunden. Es wird vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels davon ausgegangen, dass unsere Städte in zunehmendem Masse Wärme und Hitze ausgesetzt sein werden, wodurch auch die Luftqualität beeinträchtigt wird. Pflanzen und Wasserflächen können zum Abbau der Übertemperaturen durch Verdunstung und Beschattung beitragen.
Neben den flächenbezogenen Begrünungsmassnahmen fällt der Gebäudebegrünung eine besondere Bedeutung zu, da sie platzsparend angebracht werden kann. Fassaden- und Dachbegrünung stellen nicht nur einen erheblichen klimatischen Wert für ein bepflanztes Gebäude dar, sondern können auch die thermischen Verhältnisse in einer Strassenschlucht verbessern, wenn eine Vielzahl von Häusern bepflanzt wurde. Nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter werden hierdurch Energietransporte durch die Gebäudehülle verringert: Im Sommer bedeutet dies Kühlung für den Innenraum, im Winter Isolierung vor Kälte des Aussenraums. Hinzu kommt, dass insbesondere Fassadenbegrünungen in erheblichem Masse filterwirksam gegenüber gas- und partikelförmigen Luftverunreinigungen sind, wovon auch die Luftqualität profitiert. Da die Klimaprojektionen für die nahe und ferne Zukunft davon ausgehen, dass die Starkregenhäufigkeit auch in Städten zunehmen wird, können insbesondere extensive Dachbegrünungen durch Speicherung des Regenwassers dazu beitragen, Niederschlagsspitzen zu kappen. Dadurch
wird einerseits die Kanalisation entlastet, andererseits das Wasserreservoir auf dem Gebäudedach aufgefüllt. Das gespeicherte Wasser wird dann sukzessive über die Verdunstung des Dachbodensubstrats und über die Transpiration der Pflanzen abgegeben, wodurch Überwärmung und Hitze verringert werden können. Dachund Fassadenbegrünung sollte überall dort realisiert werden, wo dies bautechnisch möglich ist, denn beide sind wichtige Mosaiksteine in der Durchsetzung unserer Städte mit blau-grüner Infrastruktur.

Warum Gebäudegrün
Bäume, Büsche und Pflanzen sind nicht nur dekorativ, sondern beeinflussen das Kleinklima einer Stadt – daher auch die Bezeichnung als infrastrukturelles Grün. Die Städte werden immer dichter mit Strassen, Parkplätzen und Gebäuden bebaut, sodass andere Flächen als der Boden aktiviert werden müssen, um lebenswerten Stadtraum zu gestalten. Die Gebäudehülle bietet ungefähr fünfmal so viel Fläche an wie der bebaute Grund. Das können Dachflächen sein, Brüstungen oder auch mal eine geschlossene Giebelwand. Ausserdem wachsen Fassadenbegrünungen in der Regel auf Substrat. Und dieses Substrat – in Kisten,
in Regalen, in Pflanztrögen – hilft wiederum, den Umgebungslärm zu dämpfen – mehr als die Pflanzen selbst. Dadurch kann es teilweise wieder möglich sein, an frequentierten Strassen mit geöffneten Fenstern zu leben. Natürliche Lüftung wiederum ermöglicht es, mehr und längere Zeiten im Jahr ohne Klimatisierung zu betreiben – und das bedeutet: kein Energieverbrauch. Energie wird derzeit noch in grossen Teilen mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Die Argumente für Gebäudegrün in der Stadt bauen direkt aufeinander auf und zielen nicht zuletzt auch auf CO2- Neutralität. In wessen  Verantwortung liegt die Förderung von Gebäudegrün?

Auch wenn es in der Verantwortung von Architekten und Planern liegt, Konzepte zu entwickeln, muss die Politik entsprechende Rahmenbedingungen und Regelwerke schaffen, die zum Beispiel festlegen, dass Flachdächer oder andere Gebäudeteile begrünt werden müssen. Die Benefits von Gebäudegrün sind auch Investoren bewusst. Sie setzen das grüne Image gezielt ein, zumal mittlerweile von einer generellen Akzeptanz ausgegangen werden kann. Wer seinem Gebäude einen nachhaltigen Wert geben und auch langfristig Qualität schaffen möchte, der denkt darüber nach. Häufig wird ins Feld geführt, dass Fassadenbegrünungen teuer seien und sehr hohe Kosten im Unterhalt mit sich brächten.
Natürlich entstehen Kosten durch die Installation, die Bepflanzung sowie Pflege und
Bewässerungs- und Entwässerungssysteme. Doch auch Gärten, Parks und städtische
Grünflächen werden gepflegt und unterhalten. Wenn ein Bauherr in eine aufwendige Grünfassade investiert, die einen sehr hohen Pflegeaufwand hat, damit sie eben auch perfekt aussieht, dann ist das durchaus legitim. Doch auch üppiges Verwuchern hat seinen Reiz. Nichtsdestotrotz ist es auch wichtig, dass sich in weniger privilegierten Stadtteilen oder im sozialen Wohnungsbau Gebäudegrün etabliert. Denn gerade in Gegenden, die als soziale Brennpunkte zu bezeichnen sind, mit hohem Stresslevel und Aggressionspotenzial,
tut es Not, den öffentlichen Raum zu verbessern – und dieser wird durch begrünte Fassaden oder grüne Inseln verändert. Sie wirken nicht nur auf das Gebäude selbst, sondern vor allem auf die Umgebung.

Rahmenbedingungen für Bauherren und Architekten
Es bedarf der Regulierung in Bebauungsplänen durch die Politik, vergleichbar mit Vorgaben, wie sie auch für Wärmedämmung gemacht wurden. Aber auch Schulungen oder die Schaffung von Verständnis in der Architekturausbildung sind wichtige Faktoren. Darüber hinaus muss man dem Bauherrn über Simulationen aufzeigen, welche Effekte mit Fassadenbegrünung erzielt werden können und wie viel Technik erforderlich ist, um vergleichbare Qualitäten durch den Betrieb technischer Geräte zu erzielen. Durch eine Berechnung der Kosten für die technischen Geräte und für deren Unterhalt kann man
schnell sehen, ob die Fassadenbegrünung und deren Betrieb effektiver ist.

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