Blühende Magerwiese in der Giessereistrasse in Zürich.

Eine klimaangepasste Gebäudehülle und Grünraumplanungen in urbanen Zentren stehen auf der Agenda. Der folgende Beitrag thematisiert die Bandbereite der Herausforderungen.

Der Rückgang der biologischen Artenvielfalt ist zur globalen Herausforderung geworden. Während die schwindenden Regenwälder und Korallenriffe ein mediales Thema sind, wird vielfach vergessen, dass auch in der Schweiz circa ein Drittel aller Pflanzen und Tierarten gefährdet ist. Die Gründe für den Artenschwund liegen nicht nur bei der Land- und Forstwirtschaft, sondern auch im bebauten Gebiet mit einer zunehmenden Verdichtung und Versiegelung von Grünflächen ohne Ersatz. Bei den übriggebliebenen Freiflächen dominieren eintönige und pflegeleichte Anlagen. Davon profitieren einige wenige Arten, während wir das vielstimmige Morgenkonzert der Singvögel vermissen. Auf der anderen Seite hat der Wunsch nach mehr Natur im Siedlungsraum zugenommen. Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass Grün am Bau, Pflanzen auf dem Balkon, Gärten und Freiräume auch von den Bewohnern wieder vermehrt geschätzt werden. Im Zuge der Hitzeplanung sind in verschiedenen Städten Massnahmen vorgesehen, die auch für die Förderung der Artenvielfalt Chancen bieten. Die Entsiegelung von Böden, das Begrünen von Dach und Fassade und eine möglichst naturnahe Umgebung sollen die sommerlichen Hitzeperioden erträglicher machen. Das Pflanzen von vielen Bäumen sorgt für tiefere Temperaturen durch den Schattenwurf und die Verdunstungskühlung. Bäume und Sträucher beherbergen eine Vielzahl von Insekten. Diese sind neben Samen und Beeren wiederum die Nahrung von Vögeln, Reptilien und Kleinsäugern. Mit dem Menschen als Hobbygärtner und Bienenzüchter schliesst sich der Kreis der Nutzer einer klimaangepassten Grünraumplanung. Obwohl die Rezepte und das Know-how bei den Fachverbänden vorhanden sind und viele Gemeinden eine Beratung anbieten oder vermitteln, tun sich die verantwortlichen Eigentümer, Immobilienfirmen und Facilitymanagement-Dienstleister schwer mit Verbesserungen.

Gründe dafür sind die oft unbegründete Angst vor hohen Kosten und die gängige Praxis beim Unterhalt der Pflanzen und Grünräume. Somit braucht es eine Sensibilisierung der Entscheidungsträger und einen Know-how-Transfer von den Fachleuten zu den Planern und Ausführenden, damit das Mikroklima und die Artenvielfalt gleichermassen profitieren.

Szenarien der Begrünungen
Die häufigste Massnahme am Gebäude ist die Dachbegrünung, in vielen Gemeinden ist die Begrünung von neuen Flachdächern sogar in der Bauordnung vorgeschrieben. Die einfachste Variante ist eine extensive Begrünung: Auf einer Substratdicke von zehn bis zwölf Zentimetern wachsen trockenheitsverträgliche Pflanzen bei einem minimalen Pflegeaufwand. Oftmals kann eine extensive Begrünung auch nachträglich bei einem bestehenden Flachdach erfolgen, falls es die Statik gestattet. Ökologisch wertvoller sind extensive Dachbegrünungen mit Anhügelungen, die eine höhere Vegetationsschicht erlauben, oder intensive Dachbegrünungen mit Wildstauden. Diese erfordern jedoch eine Substrathöhe von 20 bis 30 Zentimetern. Zudem können Gründächer mit zusätzlichen Kleinstrukturen wie Totholz und Sandflächen aufgewertet werden und somit als wertvoller Lebensraum für Wildbienen und andere Insekten dienen. Die Dachbegrünung wirkt im Winter wie eine zusätzliche Isolation und sorgt in sommerlichen Hitzeperioden dank des Temperaturausgleichs für ein besseres Mikroklima. Die Installation einer Photovoltaikanlage funktioniert auch auf einem Gründach, bedingt, aber besondere Anforderungen bei der Wahl des Dachsubstrates und der Pflanzen sowie bei der Anordnung der Solarmodule. Mit niedrigen und schattenverträglichen Pflanzenarten und einem ausreichenden Abstand zwischen Substrat und Solarmodule kann die Verdunstungskühlung durch die Pflanzen sogar die Effizienz der Photovoltaikanlage erhöhen. Ein regelmässiger Unterhalt der Grünfläche ist allerdings für einen optimalen Betrieb der Anlage entscheidend.

Anforderungen an die Gebäudehülle
Wie müsste eine Gebäudehülle beschaffen sein, damit ein möglichst hoher Nutzen für die Biodiversität resultiert? Noch gibt es wenig gelungene Beispiele für die Begrünung der Fassaden und Fachleute mit Know-how sind rar. Dass begrünte Fassaden auch langfristig funktionieren, zeigen Beispiele mit Rankpflanzen wie Efeu und wildem Wein mit Bodenkontakt. Pilotprojekte für wandgebundene Begrünung gibt es einige, sie sollen die Auswirkungen auf den Wasserbedarf, den Unterhalt und die Pflege aufzeigen.

Ein begrüntes Gebäude ist nur dann ein Gewinn für die Biodiversität, wenn die angrenzenden Freiräume naturnah gestaltet werden und die verschiedenen Lebensräume miteinander vernetzt sind. Einheimische Bäume, Sträucher und Hecken bieten vielen Tieren Lebensraum und Nahrung. Auf einem Weissdorn gedeihen über 100 Insektenarten, im Schwarzdorn brüten Mönchsgrasmücken, Holunderbeeren liefern im Herbst Nahrung für Zugvögel. Eine 25 Meter hohe Buche hat eine Gesamtblattfläche von circa 1 500 Quadratmetern und liefert Sauerstoff für gut 50 Menschen. Grosse Bäume brauchen eine entsprechende Grundfläche, welche bei der Garten- und Quartiergestaltung eingeplant werden muss. Artenreiche Blumenwiesen anstelle von eintönigen Rasenflächen gedeihen auf mageren Böden, Blumenrasen an stark begangenen Orten. Das Element Wasser kann in vielen Facetten eingesetzt werden – durch Anlegen von Teichen in halbschattiger Umgebung und offenen Bächen mit Grünstreifen. Sie bieten Lebensraum für Wasserpflanzen, Libellenlarven, Wasserinsekten und Kaulquappen. Ruderalflächen auf magerem Untergrund und mit guter Besonnung lassen vor allem sonnenliebende Pflanzen mit unterschiedlichen Farben – von der blauen Wegwarte bis zur gelben Königskerze – gedeihen und sind ein Paradies für Wildbienen.

Entsiegelung als Ziel
Bei Parkierungsflächen für Fahrzeuge und Fahrräder, bei Zufahrten und Höfen sollten möglichst durchlässige und bewuchsfähige Oberflächen gewählt werden. Betonsteine, Schotterrasen, Kiesbeläge und Rasengittersteine ermöglichen das Versickern von Regenwasser, verbessern das Mikroklima im heissen Sommer und sparen Kosten im Vergleich zu Asphalt. Interessante Pilotprojekte wie das Schwammstadt-Prinzip entlang von Strassen könnten sowohl für die Entsiegelung, die Verbesserung der Wasserversorgung von zusätzlichen Stadtbäumen und als Nebeneffekt auch zur Entlastung der Kanalisation bei Starkniederschlägen einen wertvollen Beitrag leisten.

Die Entscheidungsträger und Planer in der Bau- und Immobilienbranche sowie die FM-Dienstleister sind Schlüsselpersonen für den Erhalt der Biodiversität, welche auch der Aufenthaltsqualität der Bewohner zugutekommt. Fehlendes Know-how bei den Akteuren sowie eine geringe Sensibilisierung bei den Entscheidungsträgern sind die grössten Hemmnisse für eine angemessene Berücksichtigung der biologischen Vielfalt am Gebäude und in den Freiräumen. Das Thema sollte in der Baupraxis einen ähnlichen Stellenwert erhalten wie die Sicherheit, der Lärmschutz und der Klimaschutz, welche durch Normen und Gesetze geregelt sind. Das Rezept für eine Trendwende bei der Biodiversität heisst interdisziplinäre Zusammenarbeit von Architekten, Landschaftsarchitekten und Raumplanern und ein gemeinsames Verständnis der Bau-, Immobilien- und FM-Branche für diese Zusammenhänge. SIA inForm hat das erkannt und bietet den interessierten Architekten, Landschaftsarchitekten, Stadtplanern und FM-Diensten Weiterbildungsveranstaltungen zu diesem Thema.

Veranstaltung zum Thema
«Bauen und Biodiversität» 16.6.2022, 13:30 – 17:30 Uhr Kulturpark Zürich Anmeldung und weitere Informationen siehe SIA inForm

www.intep.com