Das Curriculum des BA/BSc Digital Construction orientiert sich an den konkreten Aufgabenstellungen der Praxis

Die Baubranche ist immer noch von zersplitterten Denk- und Handlungsräumen geprägt. Die Informationsbrüche zwischen den unterschiedlichen Phasen und den unterschiedlich Beteiligten führen immer wieder zu Hürden, die eine neue Kultur der Zusammenarbeit erschweren und versprochene Effizienzgewinne der digitalen Transformation zusammenbröseln lassen. Jetzt haben aber einige Treiber*innen damit begonnen, alte Silostrukturen aufzubrechen und neue digitale Wege zu gehen. Ein Treiber ist Markus Weber, der in unterschiedlichen Funktionen die Themen Digitalisierung der Baubranche, Aus- Und Weiterbildung und Nachhaltigkeit auf seiner Agenda hat. 

Steigen wir mit einer Orientierung ein, was das Thema Digitalisierung und die Baubranche betrifft. Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht in puncto Digitalisierung meiner Ansicht nach ganz klar noch am Anfang. Man konnte das auch auf der letzten Swissbau im Rahmen des Innovation Lab beobachten. Ohne Frage, es gibt inzwischen viele grosse und kleine Unternehmen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Sie versuchen, die Mehrwerte, die uns die digitalen Technologien bieten, zu nutzen. Und die Verantwortlichen zeigen inzwischen auch die Potenziale auf. Das Innovation Lab ist zur Plattform für den Dialog und die Vernetzung der Wertschöpfungskette geworden.

Und wo ist jetzt der Haken?
Meist handelt es sich noch um Insellösungen. Die grossen Potenziale erschliessen sich aber erst durch die Vernetzung dieser Insellösungen, dazu fehlen aber noch ein einheitliches Verständnis sowie die Grundlagen und Standards.

Dann reden wir von Kathedralen in der Wüste, die schön aussehen, aber nicht in der Breite verankert sind.
Nein, so extrem würde ich das nicht darstellen, immerhin haben wir bereits «Kommunikationsverbindungen in dieser Wüste» gebaut. Wir haben ungefähr zehn Jahre an dieser Basis gearbeitet und können jetzt die nächsten Schritte koordiniert angehen. Das Verständnis und die gemeinsame Sicht auf die Wertschöpfungskette haben sich entwickelt. Wir stehen an einem Übergangspunkt, an dem die einzelnen digitalisierten Prozesse nun sukzessive vernetzt werden.

An diesem Punkt sollten wir konkret werden. Zunächst geht es doch um die Handlungsfelder: digitales Planen, Bauen, (Vor-)Fertigen und Facility Management, die dann auch vernetzt werden müssen. Früher arbeiteten wir in klassisch-linearen Prozessen. Das fordistische Fliessband ist hier sicher das bekannteste Beispiel. Heute werfen wir unterschiedliche Produkte in eine Box und haben am Schluss eine digitale Lösung. Kann man das so grob als Skizze verkaufen?
Ganz so einfach ist es leider nicht. Die richtigen Methoden zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen, ist erstmal wichtig: In der Entwicklung eines Bauobjektes ist Kreativität mit breitem Einbezug von Wissen und Erfahrungen gefragt. Hier leistet «Design Thinking» gute Dienste. In der Planung gehen wir zu einem iterativen Prozess über, bei dem in parallelen Teams an verschiedenen Teilaufgaben gearbeitet wird. An diesem Punkt sind die «agilen Methoden» zielführend. Wenn es dann aber in Richtung Realisierung geht, sind minutiös getaktete Abläufe gefragt. Hier arbeiten wir auch weiterhin in linearen «Lean-Prozessen» und lassen sinnbildlich das Fliessband durch die Baustelle laufen.

 

Wann und wo betreten jetzt die digital aufbereiteten Daten die Handlungsfelder?
Der entscheidende Faktor sind die durchgängigen und datenbasierten Prozesse: Im Zentrum jedes Bauobjektes pflegen die Akteure gemeinsam die strukturierten und maschinenlesbaren Daten zu dessen digitalen Zwilling. Von der Bestellung, Entwicklung, Planung, Ausführung bis zum Betrieb spezifiziert jeder Akteur seine Lieferung oder Anforderung mit Daten, die von den anderen Akteuren genutzt werden können. Die Grundlagen dazu haben die digitalen Technologien geschaffen, zum Beispiel Cloud Computing, Data Warehousing oder Linked Data, um nur einige Stichworte zu nennen. Wir leben im Zeitalter der inflationären Vermehrung von maschinenlesbaren Daten. So kann ich mir zum Beispiel für eine Machbarkeitsstudie zu einem Bauobjekt im Handumdrehen Daten zum Untergrund, Umfeld und Wetter der letzten zehn Jahre genau für diesen Standort zunutze machen.

Das hört sich jetzt in der Theorie gut an, in der Praxis sind die unterschiedlichen Beteiligten meist auf sehr unterschiedlichen Ebenen unterwegs. Machen solche Projekte nicht nur dann Sinn, wenn die Beteiligten mit dem gleichen Wissenstand arbeiten? Wir sind dann schnell bei der Schnittstellenproblematik. Umgekehrt gilt es aber auch zu fragen, ob jeder wirklich alle Informationen eines Projektes braucht, wenn er beispielsweise nur an einer Facility-Lösung beteiligt ist. Er braucht doch dann nicht alle Daten in einer BIM-Lösung?
Ich möchte zuerst klarstellen, dass BIM primär eine Methode ist, um Bauobjekte überhaupt mit strukturierten und maschinenlesbaren Daten beschreiben zu können. Die einzelnen Objekte eines BIM-Modells (zum Beispiel ein Fenster, eine Stütze, eine Leuchte) sind wie «Container» für die Erfassung von Daten zu verstehen. BIM schafft also primär Struktur und Ordnung, was natürlich eine wichtige Voraussetzung ist, wenn mehrere Akteure im gleichen Kontext Daten erfassen und nutzen. Welche Daten in einem konkreten Bauprojekt notwendig sind, beantwortet sich schlussendlich über die sogenannten Use Cases beziehungsweise die BIM-Anwendungsfälle. Dabei kann und soll jeder Akteur grundsätzlich seinen Use Case definieren können. Zum Beispiel braucht der Use Case «modellbasierte Koordination» die genaue Lage und geometrischen Abmessungen aller koordinationsrelevanten Bauteile, zusätzlich braucht der Use Case «modellbasierte Ausschreibung» die Auslegungs- und weitere Daten. Der zukünftige Betreiber und Nutzer hat nochmals ganz andere Anforderungen, er braucht die Daten für seinen Use Case im Betrieb, Unterhalt und der Bewirtschaftung, zum Beispiel zum Use Case «Wartung» die Angaben zu Fabrikat, Typ und Wartungsintervall aller wartungsrelevanten Bauteile.

Selbstverständlich spielen hierzu das Wissen und die Erfahrungen der einzelnen Akteure eine entscheidende Rolle. Die grösste Herausforderung heisst hier Kultur, es braucht eine andere Arbeitskultur des Zusammenarbeitens und in den Unternehmen – weg von Abgrenzung und Absicherung hin zu einem neuen Miteinander statt jeder für sich. Dazu kommen neue Methoden wie «IPD – Integrated Project Delivery» oder das in der Schweiz bereits angewendete Werkgruppenmodell. Es geht darum, strategisch die besten Kollaborations- und Abwicklungsmodelle zu finden, um die grossen Potenziale der digitalen Technologien auch zu nutzen.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Die Beteiligten fokussieren gemeinsam auf das Endprodukt, auf das Bauobjekt im Lifecycle, statt dass jeder Beteiligte den Fokus auf seinen Teil der Wertschöpfung gerichtet hat und nur diesen Teil optimiert. Bei IPD arbeiten die Beteiligten wie in einer virtuellen Firma zusammen, haben dasselbe Ziel und werden auch an dieser gemeinsamen Zielerreichung gemessen. Die Konsequenz: Die Anforderungen an die Zusammenarbeit beziehungsweise Kollaboration steigen und bedingen neue Methoden und Abwicklungsmodelle.

Die Grundlage dafür sind durchgängige und datenbasierte Prozesse, die passen. Zunächst müssen sie aber definiert werden. Das ist national die Aufgabe des Dachverbandes «Bauen digital Schweiz» beziehungsweise international von buildingSMART. Im sogenannten «Use-Case-Management» werden die einzelnen Prozesse nach einer einheitlichen Logik in drei Stufen von der Definition bis zur Informationsanforderung beschrieben. Zu jedem Use Case ist dann genau definiert, welcher Akteur wann was zu tun hat und welche Informationen wer wann und wie bereitstellen muss. Die einheitliche Logik soll sicherstellen, dass die einzelnen Use Cases beziehungsweise Prozesse schlussendlich zu einem durchgängigen datenbasierten Gesamtprozess zusammengesetzt werden können. Das «Use-Case-Management» ist ein zentrales und wichtiges Puzzle der zukünftigen digitalen Zusammenarbeit.

Ja, das Aufteilen in kleine Arbeitssektoren ist operativ wichtig, um den Prozess handeln zu können. Die Gefahr besteht aber, dass die Akteure nur in ihrer Blase agieren und nicht über den Tellerrand schauen, was ja an einigen Punkten sehr wichtig sein kann. Wir kennen diese Herausforderungen auch aus anderen Branchen.
Darum braucht es die Use Cases, die nicht auf das Produkt oder die einzelnen Arbeitsfelder, sondern auf die Ziele ausgerichtet sind.

Hier braucht es zur Verdeutlichung ein Beispiel.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel, den Use Case «Reinigung», welcher eine Anforderung des zukünftigen Betreibers ist und somit erst nach der Inbetriebnahme und Übergabe des Bauobjektes relevant wird. Um diesen Reinigungsauftrag zu organisieren, braucht der Reinigungsdienst Informationen: Welche Räume müssen überhaupt gereinigt werden, was muss gereinigt werden und um welche Materialien handelt es sich? Der digitale Zwilling liefert also zum Beispiel die zu reinigenden Bodenflächen und Materialien, die Glasflächen aussen und innen, die Nasszonen mit den zu reinigenden Sanitärapparaten. Mit diesen Informationen kann der Reinigungsdienst eventuell mit einem spezifischen Tool sein Personal, die Reinigungsmaschinen und Putzmittel disponieren. Zusammengefasst schaffen wir mithilfe der Digitalisierung aus den vielen Schnittstellen effiziente Verbindungsstellen. Morgen geht es um eine durchgängige und datenbasierte Wertschöpfungskette.

Themenwechsel: Bildung/Weiterbildung ist ein sehr langsames Dickschiff. Viele Akteure arbeiten an Bildungskonzepten und hinken der technologischen Entwicklung hinterher. Das kann von Vorteil sein, weil man nicht in jede technologische Sackgasse rennen muss. Wenn aber das Curriculum an den Hochschulen schon veraltet ist, wenn es auf den Markt kommt, ist das auch nicht gerade von Vorteil.
Die Aus- und Weiterbildung zu den Berufsbildern der Bau- und Immobilienwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. Die digitale Transformation schreitet voran und muss in den Curricula abgebildet werden beziehungsweise die Aus- und Weiterbildung müsste eigentlich die Entwicklungen vorwegnehmen und im Vorlauf sein. Vor dem Hintergrund, dass für den Umbau eines Bachelor-Curriculums gut und gern zehn Jahre ins Land gehen können, wird schnell klar, wo wir heute stehen. Zudem stellt sich die Frage, ob so eine fundamentale Transformation im Bildungswesen überhaupt intrinsisch mit dem eigenen Personal möglich ist. Das ist auch der Grund, dass die Hochschule Luzern seit dem Jahr 2020 drei komplett neu entwickelte Bachelor-Studiengänge BA/BSc anbietet: Digital Construction mit der Vertiefung in Architektur, Bauingenieurwesen oder Gebäudetechnik/Energie. Es unterrichten ausgewiesene Fachexpertinnen und -experten mit tiefgehender Praxiserfahrung zur digitalen Wertschöpfungskette und zum Lifecycle-Datenmanagement von morgen. Die Hochschule Luzern hat dazu in den letzten Jahren ein grosses Kooperationsnetzwerk aufgebaut. Das Curriculum orientiert sich konsequent an den konkreten Aufgabenstellungen der Praxis.

Als nächster logischer Schritt lanciert die Hochschule Luzern diesen Herbst ein komplett neu entwickeltes Weiterbildungsprogramm in Digital Construction: Es ist entlang der Wertschöpfungskette aufgebaut und das ist schweizweit einzigartig. Die kürzeren CAS Digital Construction sind präzise auf die Bedürfnisse der einzelnen Berufsgruppen abgestimmt und decken die Bereiche Bestellung, Planung, Erstellung und Betrieb ab. Sie lassen sich einzeln besuchen oder zu einem umfangreicheren DAS oder MAS Digital Construction kombinieren. Die Teilnehmenden können folglich je nach Bedarf ihr Wissen in einem bestimmten Tätigkeitsfeld auf den aktuellen Stand bringen oder sich zu digitalen Leadern der Bau- und Immobilienwirtschaft weiterbilden.

Es gibt zwei Megatrends – Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Auf der Swissbau gab es Projekte, die auf Kreislaufwirtschaftsmodelle setzen. Wo kann die Digitalisierung diese unterstützen?
Ich würde diese beiden Megatrends nicht auf die gleiche Ebene setzen, sondern ergänzend darstellen: Die Digitalisierung beziehungsweise die digitalen Technologien sind unsere neuen leistungsfähigen Werkzeuge, die richtig eingesetzt und kombiniert mit Prozessen, Methoden und Zusammenarbeitsmodellen bis anhin Unmögliches in Zukunft möglich machen. Dazu gehört an erster Stelle die Nachhaltigkeit. Das heisst, die digitalen Technologien schaffen erst die Voraussetzung, um unsere Lebensräume nachhaltiger umzubauen beziehungsweise weiterzuentwickeln und gleichzeitig eine hochwertige Baukultur zu erhalten.

Gerade das Thema Kreislaufwirtschaft können wir nur dank der Digitalisierung in den Griff bekommen: Modularisierung und Standardisierung gepaart mit strukturierten und maschinenlesbaren Daten schaffen hier die Voraussetzungen, um die verbauten Bauteile und Materialien quasi zu inventarisieren und unsere gebaute Umwelt gewissermaßen als Materiallager zu verwalten.

Beim Thema Modularisierung und Standardisierung fühlen sich viele Architekt*innen eingeschränkt.
Das muss aber nicht so sein. Erstens reduzieren wir mit einer guten Modularisierung die Komplexität, Baukosten und Bauzeit. Zweitens wird damit die Kreativität keineswegs eingeschränkt. Im Gegenteil, die digitalen Technologien unterstützen uns, richtig eingesetzt, auch im kreativen Prozess, um schneller die bessere Lösung zu finden. Mithilfe der digitalen Planung und Vorfertigung sind dem Design fast keine Grenzen gesetzt. Parametrisches oder generatives Design sind digital basierte Designmethoden, bei denen Algorithmen und Eingabeparameter komplexe Formen definieren und für die modulare Vorfertigung optimieren.

Die Verschränkung ist hier erkennbar. Nachhaltigkeit ist eben nicht Verzicht, sondern mehr Effizienz und auch mehr Lebensqualität.
Die Digitalisierung bietet uns riesige Chancen, um einerseits die Produktivität und Qualität zu steigern, aber eben auch Nachhaltigkeitsthemen wie Netto-Null-Emissionen und Kreislaufwirtschaft endlich nachhaltig anzugehen. Und nicht zuletzt wird uns die Digitalisierung auch helfen, das Image bei den jungen Leuten aufzuwerten und die Attraktivität der Berufsbilder in der Bau- und Immobilienwirtschaft zu erhöhen.

Markus Weber ist Co-Studiengangsleiter BA/BSc Digital Construction und Co-Programmleiter CAS/DAS/MAS Digital Construction an der Hochschule Luzern. Als Präsident von «Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland» hat er die digitale Transformation der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft nachhaltig geprägt.