Die industrielle Landwirtschaft stösst immer mehr an Grenzen. Gefährdetes Trinkwasser, Artensterben, der Beitrag zur Klimakrise und die Gefährdung des Tierwohls sind die Stichworte, welche den Handlungsdruck verdeutlichen. Den zentralen Widerspruch sehen wir jeden Tag im Discounter. Wir wollen eigentlich kein Fleisch von gequälten Tieren auf dem Teller haben, im Discounter suchen wir aber immer noch nach den Sonder- und Billigangeboten. Jetzt gibt es eine Architekturausstellung zum Thema.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Ernährungssouveränität der gebeutelten
Bevölkerung im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Es wurde dementsprechend auf Masse und Menge geachtet. Auch die Subventionen der EUAgrarpolitik, die heute noch nach ähnlichen Mustern ausgerichtet ist, hat noch viel mit diesem Ausgangspunkt zu tun. Sie setzt nicht auf Qualität, sondern auf Quantität. Auch in der Schweiz produzierte man lange Milchseen und Schweineberge. Gleichzeitig hat sich der ländliche Raum verändert. Gab es bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts noch klassische Dorfstrukturen mit kleinräumiger Landwirtschaft in ihren Infrastrukturen und Dienstleistungen, so verschwanden diese zunehmend in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Das zentrale Motto der Agrarfunktionäre und Lobbyisten heisst: «Wachsen oder Weichen». In
der Folge entstanden regionale Agrarfabriken, wie man sie beispielsweise im Schweinegürtel von Vechta Cloppenburg in Norddeutschland findet. Die Erzeuger werben mit einer klassischen Naturlandschaft mit glücklichen Hühnern und Schweinen, die Realität
sieht ganz anders aus.
Neue Werte und Debatten
Inzwischen nehmen die Bedenken gegenüber der landwirtschaftlichen Produktion in
ihrer gegenwärtigen Ausprägung zu. Insbesondere über die Haltungs- und Schlachtbedingungen von Nutztieren wird eine kontroverse Debatte geführt. Dabei spielen
Aspekte der Ökonomie und der Ökologie, des Tier- und des Umweltschutzes, der
Ethik und eines bewusste(re)n Fleischkonsums eine wichtige Rolle. Die Frage nach
Herkunft und Bioprodukten hört man immer häufiger. Inzwischen sind auch offene
Konflikte zwischen den betroffenen Gruppen ausgebrochen. Viele Bauern fühlen
sich als Sündenböcke abgestempelt, Verbraucher wollen mehr Qualität und die Politik
laviert. Hier gilt es, Szenarien zu entwickeln, die Auswege aufzeigen.
Ein Ideenwettbewerb
Das Aedes Architekturforum in Berlin setzt zum Auftakt seines 40. Jubiläumsjahres
2020 eine Reihe zur Rolle der Architektur bei der Entwicklung des ländlichen Raumes
fort. Es präsentiert Architekturentwürfe für einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb mit Schweinehaltung, der den gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüchen genügt. Die Auslober eines studentischen Ideenwettbewerbs (KTBL und Stiftung LV Münster) haben bereits 2016 damit begonnen, nach neuen Perspektiven für das landwirtschaftliche
Bauen, die Nutztierhaltung und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft zu suchen.
Die Aufgabe für Architekturstudierende an vier Hochschulen (TU Braunschweig,
TU Darmstadt, TU München und Universität Stuttgart) umfasste den Entwurf für
einen Stall für 500 Mastschweine in artgerechter Haltung und darüber hinaus ein
Schlachthaus und einen Hofladen für die Direktvermarktung. Das Planungsgrundstück
grenzt an den historischen Bestand eines typischen Münsterländer Hofes in Dorfrandlage. Bewertet wurden die architektonische und landschaftsplanerische Qualität, die Tiergerechtigkeit, die ökologische und ökonomische Qualität, Nachhaltigkeitsaspekte
und das Kreativ- und Innovationsniveau.
Der historische Hintergrund
Schon Hugo Häring (1924) und Walter Gropius (1967) hatten sich mit dem Thema «Architektur für Schweine» beschäftigt – Letzterer hatte aufgrund einer verlorenen Wette mit dem Porzellan-Produzenten Philip Rosenthal für dessen Hausschwein den «Palazzo
RoRo» entworfen, der aber ebenso unrealisiert blieb wie Härings Schweinestall für Gut
Garkau. Seinerzeit war das Tierwohl im Stall noch kein Thema für Politik, Gesellschaft
und Planer, heute hört es nicht einmal an der Stalltür auf. Die Fleischproduktion und der
Konsum von tierischen Produkten bedingen die Auseinandersetzung mit der Haltung,
aber auch mit der Tötung von Tieren.
Für die europäische Landwirtschaft hat die Erzeugung von Schweinefleisch eine besondere
Bedeutung: Derzeit werden in Deutschland etwa zwölf Millionen Mastschweine mit
mehr als 50 Kilogramm Gewicht in rund 19’000 Betrieben gehalten. Jeder Bundesbürger
verzehrt im Schnitt 35.9 Kilogramm Schweinefleisch pro Jahr. Fast ein Viertel der EU-28-Schweinefleischproduktion wird von Deutschland erbracht. Ein nicht geringer Teil des subventionierten Billigfleischs geht in den Export und gefährdet so regionale Märkte in Afrika. Für die Haltung von Mastschweinen werden nun aber zunehmend Haltungsformen
mit höheren Tierwohlstandards diskutiert und entwickelt. Dabei haben die Tiere
zum Beispiel mehr Platz und Zugang zu unterschiedlichen Klimazonen. Gleichzeitig entstehen neue Zielkonflikte, denn bei der Haltung mit Ausläufen sind höhere Emissionen
durch die grösseren Flächen und die freie Lüftung der Ställe zu erwarten.
Lange Zeit waren Schlachtungen vor Ort auch in (kleineren) handwerklichen Fleischereien
üblich, doch ab Ende des 19. Jahrhunderts zentralisierten viele deutsche Städte
das Schlachthauswesen, und heute werden die meisten Tiere in wenigen spezialisierten
Grossanlagen geschlachtet und zerlegt. Damit ging zwar eine enorme Verbesserung
der hygienischen Verhältnisse einher. Die Konzentration der Betriebe führte jedoch zu
langen Transportwegen lebender Tiere, was für sie grossen Stress bedeutet und zu einer
wachsenden Distanzierung der Verbraucher zum Schlacht- und Verarbeitungsprozess
führt. Die Menschen verloren zunehmend den Bezug zu den Nutztieren und das Bewusstsein darüber, was sie essen und wo das Fleisch überhaupt herkommt. Wenngleich deren Zahl beständig weitersinkt, gibt es deutschlandweit noch viele landwirtschaftliche Familienbetriebe mit Schweinehaltung und handwerkliche Schlachtbetriebe. Diese zu bewahren und verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen, könnte ein wichtiges Element bei dem Bemühen sein, durch regionale Strukturen und Wertschöpfungsketten zur
Entwicklung ländlicher Räume beizutragen und gleichzeitig die Wege für Tiertransporte
zu reduzieren.
Konkrete alternativen
Da die offizielle Politik und die klassische Agrarlobby sich kaum bewegen, haben inzwischen
regionale Akteure das Heft des Handels übernommen und entwickeln entlang der gesamten Wertschöpfungskette Alternativen. Bei der Regionalwert AG im Raum Freiburg (D) geht es beispielsweise um das konkrete Zusammenwirken von Kapitalgebern, landwirtschaftlichen Partnerbetrieben, Vertrieblern und mit einbezogenen Konsumenten beim Aufbau einer nachhaltigen Regionalwirtschaft rund um Freiburg.
Die Ausstellung
Das Aedes Architekturforum gibt Einblicke in die Typologie von Ställen und Schlachthäusern, setzt sich mit dem Verhältnis von Mensch und Nutztier auseinander
und präsentiert Ideen für Bauernhöfe mit Schweinehaltung und -verarbeitung sowie
Direktverkauf anhand von Zeichnungen und Modellen der prämierten Entwürfe des
Ideenwettbewerbs. Ziel ist die Förderung einer verbraucherorientierten, sozialverträglichen
und umweltschonenden Landbewirtschaftung, einer tiergerechten und umweltverträglichen
Nutztierhaltung sowie die Stärkung des ländlichen Raumes.