Lena Raizberg ist Leiterin Architektur Berlin bei Arup.

Während sich die Klimaziele im Neubau vergleichsweise einfach erreichen lassen, stellen sie im Bereich des Bestandes, der rund 90 Prozent der Gebäude ausmacht, eine grosse Herausforderung dar. Wie also kann der Spagat aus Energieeinsparung, CO2-Reduzierung,  Ressourcenschonung und Qualitätssteigerung in der Bestandssanierung gelingen? Im Folgenden geht es in erster Linie um die Situation in Deutschland. Sie lässt sich aber auch auf die Schweiz übertragen.

Ohne zusätzliche Anstrengungen lassen sich die Klimaziele bis 2050 nicht erreichen. Hoffnung machen die Konjunkturpakete der Regierungen in der EU, aber auch die Förderungen in der Schweiz. Wenn wir diese Mittel konsequent in die Zukunft unserer Städte und die Transformation unserer Wirtschaft investieren, kann die aktuelle Corona-Krise den Weg in die Klimaneutralität beschleunigen. Die entsprechenden technischen Lösungen sind vorhanden. Wichtig ist, dass die Massnahmen jetzt rasch umgesetzt werden.

Ein wesentlicher Hebel zur CO2-Reduzierung ist der rund 22 Millionen Gebäude umfassende Bestand. Obwohl Nicht-Wohngebäude mit 2.7 Millionen zahlenmässig nur einen kleinen Teil des Gebäudebestandes ausmachen, sind sie aufgrund ihrer grossen Fläche für 36 Prozent des Gebäudeenergieverbrauchs verantwortlich. Wenn man bedenkt, dass 66 Prozent aller Fassaden ungedämmt sind und 70 Prozent der Anlagentechnik nicht mehr dem modernen Stand der Technik entsprechen, kann man sich ausrechnen, welches Einsparpotenzial im Bereich von Büro- und Gewerbebauten vorhanden ist.

Doch Abriss ist angesichts der grauen Energie und der Ressourcen, die im Bestand stecken, immer die schlechteste aller Alternativen. Neben den Vorteilen für die Umwelt bietet die  Revitalisierung oder Konversion oft höhere wirtschaftliche und soziale Renditen als ein Abriss und Neubau. Ein weiterer Aspekt ist das baukulturelle Erbe, dessen Erhalt einen  unschätzbaren Wert für Städte und Gemeinden darstellt.

Ein Patentrezept gibt es nicht. Für jedes Projekt muss ein individueller Sanierungsfahrplan erarbeitet werden, der sich am Zustand des Gebäudes, dem Standort und den Vorstellungen des Bauherrn orientiert. Aber es gibt Hebel, an denen man bei jedem Sanierungsprojekt ansetzt. Das sind die Energieversorgung, die Gebäudehülle, die Gebäudetechnik und das Wassermanagement.

Mit 51.7 Milliarden Tonnen Baumaterialien ist der Bestand unser grösstes Rohstofflager. Würden diese Materialien konsequent wiederverwendet, wäre der jährliche Bedarf an Rohstoffen um 30 Prozent niedriger, als er heute ist. Wie viele Ressourcen sich in Sanierungsprojekten wirklich wiederverwenden lassen, hängt vom Einzelfall ab. Beim 2019 fertiggestellten Bürogebäude 1 Triton Square in London konnten wir 3 300 Quadratmeter Kalkstein, 35’000 Tonnen Beton und 1 900 Tonnen Stahl wiederverwenden. Statt die Fassade komplett zu erneuern, haben wir 3 500 Quadratmeter alte Fassaden-Paneele mit
Kohlefasern umwickelt. Eine Massnahme, die im Vergleich zu einer neuen Fassade 1 270 Tonnen CO2 und 66 Prozent Kosten eingespart hat. In Summe aller Massnahmen haben wir mehr CO2 eingespart, als das Gebäude in den nächsten 40 Jahren ausstossen wird.

Keine Frage, die Sanierung von Bestandsgebäuden ist aufwendig und birgt Planungsrisiken. Um den Aufwand realistisch einschätzen zu können, bedarf es einer soliden  Planungsgrundlage. Und genau diese fehlt bei vielen Bestandsgebäuden. Deshalb empfiehlt es sich, Bestandsgebäude in einem 3-D-Modell zu erfassen und damit BIM-tauglich zu machen. Auf diese Weise lassen sich verschiedene Sanierungsvarianten durchspielen, etwaige Planungsrisiken abschätzen und die zu erwartenden Kosten fundiert berechnen.

www.arup.com