Vieles, was in den Kunst- und Designwelten uns heute gefällt, war früher schon einmal da. Retrotrends klingen auf den ersten Moment wenig innovativ, sie vermitteln aber gerade in diesen unsicheren Zeiten auch ein Stück Sicherheit. Zudem, wir kennen das aus der Mode, wiederholen sich Trends. Es geht dabei aber nicht um ein fantasieloses Wiederholen, sondern um das innovative Einbetten von aktuellen Entwicklungen. Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen, Ansprüche und Visionen. Was möchten wir gern sehen? Wie möchten wir gesehen werden? Die internationale Kreativ-Plattform 99designs hat ihre globale Grafikdesigner-Community zu den neuen Trends 2021 befragt. Das Ergebnis ist eindeutig: Es geht um Stile, die das Hier und Jetzt abbilden. Wir stellen sie im folgenden Beitrag vor.

Es überrascht nicht, dass viele Trends «alte Bekannte» sind. Damit ist nicht nur der Rückgriff auf die sogenannten «schönen Künste» gemeint. Auch Elemente der Natur sind das wohl älteste Motiv der Menschheit. Mit einem neu erstarkten Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeitsgedanken im Rahmen des Klimawandels kehren Blattwerk, Blüten und gar Tiere zurück in die Welt des Designs. Sie zeigen den menschlichen Drang, auf Entdeckungsreise zu gehen, neue Welten zu erfahren und sich des eigenen Ursprungs zu besinnen. Besonders spannend ist der Trend des Retro Futurism. Wie können Retro und Futurismus zusammenpassen? Viel besser, als man auf den ersten Blick denken mag. Schon in den Fünfzigerjahren hatten die Menschen Vorstellungen und Träume von der Zukunft, die sich überraschend wenig von unseren heutigen Zielen und Fantasien unterscheiden. KI, Roboter, Raumfahrt – plötzlich scheinen die aktuellen Forschungsschwerpunkte gar nicht mehr so neu und progressiv. Ein historischer Vergleich zeigt aber auch: Unsere heutige Gegenwart ist weit entfernt von dem, was man sich vor über einem halben Jahrhundert herbeigesehnt hat. Dieses Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion bringt immer wieder neue Schöpfungen hervor. Allerdings war der damalige technologische Fortschrittsoptimismus in ein optimistisches gesellschaftspolitisches Weltbild eingebettet. Dieses fehlt heute. Die technologischen Optimisten, nicht nur aus dem Silicon Valley, haben keine gesellschaftlichen Leitvorstellungen, die die Gesellschaften als Ganzes mit einbeziehen.

Abstrakte psychedelische Kunst

Was ist möglichst weit entfernt von der Realität? Das Abstrakte! Damit liegt 2021 nichts näher als eine Flucht in die abstrakte, gar psychedelische Kunst. Diese Gebilde nehmen uns mit auf eine Reise ins Fantastische, ohne dass wir dafür die eigenen vier Wände verlassen müssten. Verzerrte und verschlungene Motive zusammen mit kontrastreichen Farben formen bizarre Muster, die ein Eigenleben zu entwickeln scheinen. Wer dieses Muster verfolgt, folgt gleichsam Alice hinab durch den Kaninchenbau und findet sich in einer fremdartigen, pulsierenden und aufregenden Welt. So ist es wenig überraschend, dass diese Kunst mit Halluzinogenen, Exzessen und Umbrüchen assoziiert wird. Ihren Ursprung hat sie in kreativen Experimenten der Musik- und Kunstszene der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Jede Betrachtung löst etwas anderes im Betrachter aus, es ergeben sich neue Details und Muster, bis das Bild ganz neu erscheint. Schon vor sechs Jahrzehnten spielten Drogen, insbesondere LSD hier eine fast schon logische Unterstützung zur Bewusstseinserweiterung. Auch heute greift das Grafikdesign den Charme der abstrakten psychedelischen Kunst auf: Wir haben genug davon, jeden Tag das Gleiche zu sehen. Ein Ausflug in diese bunte, abenteuerliche Welt ist der Kurzurlaub, der uns 2020 nicht vergönnt war.

Die Kraft der Symbole

Symbole begegnen uns im Alltag ständig. In dieser Umgebung haben sie vor allem einen praktischen Nutzen, sie geben kurz und prägnant Hinweise oder Warnungen. Sie haben eine lange Geschichte, die bis zu den Ursprüngen der Menschheit zurückreicht. Symbole sind wohl der kürzeste Weg, einen Inhalt zu vermitteln. Damit treffen sie den Nerv der Zeit: Im Angesicht der Digitalisierung sind wir es gewohnt, mit einem Klick oder Wisch die Informationen zu bekommen, die wir suchen. In dieser kurzlebigen Zeit geben Symbole durch ihre Beständigkeit und Allgemeingültigkeit Sicherheit. Doch Symbole sind mehr als praktische Helfer: Durch ihre Kompaktheit werden sie zu einem Stück Kunst für unterwegs, einem Glücksbringer oder einem Erkennungsmerkmal unter Gleichgesinnten.

Retrofuturismus als Spiegel

Dieser Trend spiegelt den Optimismus der Vergangenheit wider. Die alltägliche Fortbewegung in fliegenden, Raumschiff-ähnlichen Gefährten, Reisen zwischen einzelnen Planeten und Roboter als allgegenwärtige Helfer: Davon träumten viele Menschen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts, und heute tun sie es wieder. Einige Pläne sind konkreter geworden. Statt in die unermesslichen Weiten des Weltraums wollen wir nun erstmal zum Mars. Dies dient ohne Frage dem Ego von Elon Musk. Was es aber Gesellschaften wirklich bringt, wenn einige Astronautinnen und Astronauten auf dem Mars herumlaufen, ist bislang völlig unklar. Eine Debatte darüber findet bislang nicht statt. Die technologische Euphorie findet ohne gesellschaftlichen Unterbau statt. Die Mondmissionen der Nasa wurden in den Siebzigerjahren sang- und klanglos eingestellt. Hier droht ein ähnlicher Verlauf. Dagegen können uns schon heute KI und Roboter helfen, den Alltag besser zu bewältigen – allerdings sind sie bislang auf kleine Haushaltshilfen wie Staubsaugerroboter beschränkt, die bereits an ihre Grenzen stossen, wenn sie einer Teppichkante begegnen. Das ist jetzt vielleicht etwas zu pessimistisch. Wer in die neue S-Klasse von Daimler Benz schaut, kann sich vor KI kaum retten. Auf jeden Fall zeigt sich die Zukunft nicht ganz so glänzend, wie man sie sich vor rund 70 Jahren erträumte. Viel weniger fantastisch und immer noch auf der Erde. Unsere Forschung ist allerdings vorangeschritten und macht vieles möglich – wir wissen aber nun auch besser, was noch nicht möglich ist. Retrofuturismus scheint mittlerweile überholt. Statt optimistisch schauen wir nun zwar ambitioniert, jedoch vor allem realistisch in die Zukunft. Im Zeichen des Klimawandels wagen wir auch schon mal einen dystopischen Blick. Da ist es nur nachvollziehbar, dass Bilder im Stil des Retrofuturismus uns mit ihrem unvoreingenommenen, ja fast naiven Glauben an eine hoch technisierte Zukunft in ihren Bann ziehen. Futurismus bleibt eine Flucht in bessere Zeiten, in diesem Fall die gute alte Zukunft.

Nahtloser Surrealismus

Ähnlich wie die abstrakte psychedelische Kunst entführt der Surrealismus den Betrachter in neue, fremde, manchmal groteske Welten. Dabei denken wir zuerst an unendlich scheinende Treppen, die schliesslich am eigenen Ausgangspunkt enden und uns so wieder und wieder im Kreis führen. Dabei dreht sich der Surrealismus keineswegs nur um sich selbst oder spielt ausschliesslich mit dem Unerklärlichen. Vielmehr hilft er dabei, neue Welten in der vorhandenen Umgebung zu sehen. Dieser Trend nimmt den Betrachter mit auf eine Entdeckungsreise, bei der das Reale mit dem Surrealen verwoben wird. Zwei Motive, die alleinstehend wenig auffällig wären, werden hier kombiniert, um eine neue Darstellung zu ergeben, ohne dass ein harter Übergang auszumachen wäre. Die neue Darstellung kann befremdlich wirken, hebt jedoch auch einzelne Aspekte und Komponenten hervor und regt damit dazu an, den Blick auszuweiten und neue Deutungsmöglichkeiten zu erschliessen.

Authentische Darstellung

Was Design unbedingt vermeiden möchte, ist, in Eintönigkeit zu verfallen. Abwechslung, Veränderungen und Abweichungen von der Norm machen diese Kunst erst spannend und lebendig. Da liegt es also nahe, dass auch die Menschen in all ihrer Diversität dargestellt werden. Vorbei sind die Zeiten der immer gleich strahlenden, makellosen Models. 2021 werden wir vermehrt Menschen sehen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen – und dennoch schön sind. Das Hervorheben verschiedener kultureller Hintergründe, Alter und Identitäten eröffnet nicht nur viele neue Möglichkeiten für Designs, es macht es auch einfacher, sich mit dem Dargestellten zu identifizieren. Die authentische Darstellung ist nahbar, fast greifbar und zeugt von einer neuen Offenheit und Toleranz. Sie eignet sich darum ganz besonders für Werbung oder die Verpackung von Produkten, welche eine menschliche Komponente hervorheben und fördern wollen.

Freche Charaktere

Auf eine besondere Reise nimmt auch dieser Trend die Betrachterin und den Betrachter mit. Dabei werden dem Zuschauenden aussergewöhnliche Begleiter zur Seite gestellt: kleine, freche, aufgeweckte Charaktere mit grossem Wiedererkennungswert und ausgeprägtem Geltungsbedürfnis. Sie können Comicfiguren sein oder zum Leben erweckte Gegenstände – je individueller, desto besser. Die Grundlage für diesen Trend ist die Concept Art, welche unbefangen mit der Realität umgeht und sie so erweitert. Die Figuren vermitteln, vielleicht durch ihre Nähe zum Cartoon, ein beschwingtes und humorvolles Bild, das sich möglichst charakteristisch darstellt. Ihre Unterschiedlichkeit, die uns auch schon beim Trend der authentischen Darstellungen begegnet ist, sorgt für Diversität und Abwechslungsreichtum bei Künstlern und Rezipienten. Die kleinen Charaktere machen es einfach, eine Beziehung zum Dargestellten aufzubauen und sich mit der vermittelten Botschaft zu identifizieren. In einer Zeit, in der Remote-Work und Social Distancing immer präsenter werden, sind sie ein willkommener Anknüpfungspunkt für soziale Zugehörigkeit.

Comics und Pop-Art

Comics eignen sich keinesfalls nur als Lektüre für Kinder. Auch Erwachsene freuen sich an den bildreich erzählten Geschichten und der unverwechselbaren Zeichentechnik. Starke Körnung und Färbung bringen diese Charakteristika in den Designtrend. Sie sorgen gleichzeitig für einen angenehmen Minimalismus in einer Zeit, in der wir ständig alle Möglichkeiten offen haben und immer wieder neue Eindrücke geliefert bekommen. Die Motive der Pop-Art sind häufig der Alltagskultur und den Medien entnommen und schaffen es, durch ihre hohen Kontraste und meist überdimensionalen Ausmasse kleinen Momenten eine neue Präsenz zu verleihen. Auch diese Kunstform hat ihren Ursprung in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Die schönen Künste

2021 werden die Grenzen zwischen Design und Kunst verschwimmen. So finden traditionelle Maltechniken wie Pinselstriche und Acrylfarben ihren Weg in die Welt des Grafikdesigns. Dort verleihen sie den Darstellungen Ernsthaftigkeit und Tiefe durch ihre gedeckten Farben und den Eindruck einer unregelmässigen Oberfläche, wie wir sie von Gemälden kennen. Diese Ungleichmässigkeit bringt eine individuelle Note mit sich, die gerade Grafiken oft fehlt. Sie macht die Gestaltung erfahrbar und unverwechselbar, ohne an Eleganz zu verlieren. Damit eignet sich dieses Design ganz besonders für Produkte, die einen seriösen oder gar klassischen Eindruck vermitteln wollen.

Elemente der Natur

Pandemie-bedingt haben wir im letzten Jahr viel zu viel Zeit in unserer Wohnung verbracht. Ein Ausflug in den Garten oder Park war da das höchste der Gefühle – an exotische Orte war gar nicht zu denken. Dafür schlägt sich die Aussenwelt nun in den Designs nieder, die sich auf Elemente der Natur besinnen. Diese können ganz unterschiedlich ausfallen: ob Rankenmuster, Urwaldpanoramen, Ausblicke oder in der Farbwahl. Nun gilt back to the roots, sich auf den eigenen Ursprung besinnen und aus dieser Konstante immer wieder neue Illustrationen schöpfen. Damit sind die Aussichten für diesen Trend geprägt von Wachstum und bringen kreative Blüten hervor. Das kann in einem grünen Biedermeier münden, wie sie in Magazinen wie «Landlust» propagiert werden. Dort wird urbanen Stadtmenschen ein Landleben vorgespielt, welches es so in der Realität nicht gibt. Das muss aber nicht so sein. Manchmal geht es auch hier nur um kleine Fluchten aus dem Alltag.

Farbunschärfe einsetzen

Die Unschärfe ist ein Grafiktrend, der sich ganz auf die Farbgebung konzentriert. Hier geht es darum, den perfekten Kontext zu schaffen, um ein stimmiges Gesamtdesign zu präsentieren. Farbverläufe und Übergänge werden noch fliessender, gar verschwommen und bieten damit den perfekten Hintergrund für Überschriften, Texte oder Fotos. Dieser Trend zeigt uns die Ganzheitlichkeit von Gestaltung. Es kommt nicht nur auf das Kernstück der Illustration an – alle Komponenten müssen zusammenspielen, um ein harmonisches Kunstwerk entstehen zu lassen. Die Wahl der Farbe kann dabei grossen Einfluss auf die Stimmung nehmen, Künstler haben in diesem Jahr keine Angst vor dunklen Farben und düsterer Atmosphäre. Das muss nicht zwingend zu einem bedrückenden Gesamtbild führen, sondern kann auch zur strahlenden Inszenierung der Elemente im Vordergrund führen.

Design mit sozialem Bewusstsein

Die Zeiten werden wieder politischer. Auch das Jahr 2021 lebt seine eigene Protestkunst aus. Vieles befindet sich im Umbruch, die neuen grossen Treiber sind wachsendes Umwelt- und Gerechtigkeitsbewusstsein. Illustrationen helfen, Botschaften in die Welt hinauszutragen. So kommt es, dass wir in diesem Jahr vermehrt Handlettering sehen werden, plakatähnliche Arrangements und starke Statements. Die Protestkultur ist wieder präsent geworden in der Gesellschaft und fördert das Bewusstsein, dass jeder Einzelne sich engagieren kann. Die unpolitische Generation Golf tritt in den Hintergrund. Wer heute 20 Jahre ist, engagiert sich in seinem Umfeld. So wird auch die Präsentation der jeweiligen Botschaften individueller, Handschriften und Zeichnungen treten in den Vordergrund, auch der Symboltrend spiegelt sich hier wider.

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