Blaues Licht regt die Konzentration an – auch in der Nacht.

Mit der Industrialisierung hielt das künstliche Licht Einzug in die Haushalte. Im Laufe der Zeit verbrachten die Menschen immer weniger Zeit im natürlichen Licht. Hat dies eine Auswirkung auf den Biorhythmus? Kann zu viel künstliches Licht sogar schädlich sein für den Organismus? Und sind Tageslicht-LEDs die beste Lösung, um dem Lichtdefizit Einhalt zu gewähren?

Licht ist nicht gleich Licht. Dies ist eine Aussage Ihrerseits. Wie meinen Sie das?
Bei Licht können viele Eigenschaften unterschieden werden. Zum Beispiel das Spektrum. Selbst wenn Licht vielleicht auf den ersten Blick immer gleich weiss aussieht, so muss es das nicht sein. Es kann spektral ganz anders zusammengesetzt sein. Eine Glühlampe hat beispielsweise ein anderes Spektrum als eine Leuchtstoffröhre oder eine LED oder das Tageslicht. Weiterhin kann Licht unterschiedliche Farbtemperaturen haben. Stichwort warmes Licht oder kaltes Licht. Diese Unterschiede sind dann aber visuell sichtbar.
Licht kann polarisiert oder unpolarisiert sein. So gibt es viele weitere Eigenschaften, die Licht mit sich bringt, die sich stark unterscheiden können.

Menschen mit Bürojobs verbringen durchschnittlich 22.25 Stunden pro Tag ohne Tageslicht. Wie schädlich ist dies?
Das sind die durchschnittlichen Werte eines Europäers, der im Büro arbeitet. Jedoch kann man nicht genau sagen, wie schädlich dies ist. Die Wissenschaft kann da keine klare Auskunft geben, wie schlimm das ist. Aber, seit ungefähr 100 oder 150 Jahren, mit zunehmender Industrialisierung und dem Aufkommen von elektrischem Licht halten sich Menschen immer mehr in geschlossenen Räumen auf und sind demnach weniger Tageslicht ausgesetzt. Dem Licht, welchem wir über Tausende von Jahren schon ausgesetzt waren und vermutlich darauf optimiert sind. Dafür gibt es unzählige Hinweise. Auch das Fensterglas ist hierbei ein Hindernis. In Bürogebäuden reicht das Tageslicht meist nicht
in jede Ecke hinein. Deswegen muss man mit künstlichem Licht nachhelfen. Das ist sehr häufig der Fall.

Das ist ein Widerspruch in sich selbst …
Ja, genau. Hinweise, dass Tageslicht spektral dem elektrischen Licht vorzuziehen ist,
lieferte eine Studie von Christian Cajochen und mir. Hierbei ging es um die Unterschiede
von Tageslicht-LEDs im Vergleich zu normalen LEDs. Wobei Tageslicht-LED ja eher ein Marketingbegriff ist. Der Unterschied zu den normalen LEDs ist im Spektrum. Tageslicht-LEDs haben ein volleres Spektrum als die normalen LEDs. Allerdings enthalten sie, im Gegensatz zu Tageslicht, kein UV und keine Infrarotstrahlung.

Könnten Sie das bitte ein wenig genauer erklären?
Eine typische weisse LED hat einen sogenannten Blau-Peak, sie hat eine Lücke bei Cyan, also bei Blaugrün, und im Roten fehlen dann auch wieder ein bisschen die Spektralanteile. Bei den sogenannten Tageslicht- LEDs ist es anders, da ist das Cyan mehr aufgefüllt, und es geht auch weiter in den roten Bereich hinein.

Ist dieses Licht also wärmer?
Nein, nicht unbedingt. Die Blaugrün-Anteile sind lediglich höher, und im langwelligen Bereich sind auch mehr Rottöne vorhanden. Auf den ersten Blick sind die beiden
gar nicht auseinanderzuhalten. Aber es ist messbar, und zwar am Menschen. Das
konnten wir an den Teilnehmern an unserer Studie sehen. Wenn man den Menschen den Tageslicht-LEDs aussetzt im Vergleich zu normalen LEDs, so haben sich die Probanden subjektiv wohler und subjektiv auch wacher gefühlt. Das Licht wurde von der Qualität her besser beurteilt, obwohl beides mit blossem Auge eigentlich nicht unterscheidbar war. Beide Lampen haben eine Farbtemperatur um die 4 000 Kelvin. Wir haben auch in der
Nacht den Schlaf gemessen und festgestellt, dass sie nach den 16 Stunden unter den Tageslicht-LEDs mehr Tiefschlaf hatten als nach der normalen LEDs.

Gibt es noch weitere Beispiele?
Es gibt weitere Hinweise dafür, dass die Eigenschaften von Tageslicht wichtig für uns sind, zum Beispiel bei der Lichtverteilung. Der Himmel ist ja eine recht grosse Lichtquelle im Vergleich zu den Lichtpunkten oder Linien von Leuchten im Büro. Auf unserer Retina gibt es nicht nur Stäbchen und Zapfen, sondern auch lichtempfindliche Ganglienzellen. Diese sind über die gesamte Retina verteilt, sodass man annehmen kann, dass eine grosse leuchtende
Fläche, welche bei der Abbildung auf der Retina mehrere dieser Ganglienzellen reizt, auch zu stärkeren Effekten beim Menschen führt. Dazu laufen gerade Untersuchungen in unserem Labor.

Wir sind also über unsere Augen auf die Sonne optimiert?
Genau. Weitere Studien zeigen, dass Licht von oben Melatonin effektiver unterdrückt als
Licht von unten. So wie es auch in der Natur, durch den Himmel geschieht. Da kann man
vermuten, dass wir uns dafür optimiert haben. Auch in Sachen Intensität ist es so, dass
natürliches Licht unter freiem Himmel am Tage meist deutlich heller und in der Nacht
viel dunkler ist als im Gebäude. 100’000 Lux können es tagsüber im Freien sein. Eine
mondlose Nacht mit klarem Sternenhimmel in den Bergen hat jedoch nur 0.002 Lux. Es
gibt Hinweise dafür, dass wir genau diesen Hell-Dunkel-Rhythmus wirklich brauchen.
Studien haben bewiesen, dass Menschen, die in «lichtverschmutzten» Gegenden leben,
einen völlig anderen Schlafrhythmus aufweisen. Daran erkennt man, dass der Mensch
auf Tag = hell, Nacht = dunkel gepolt ist. Man merkt auch, dass zum Beispiel die Leute im
Osten von Deutschland früher aufstehen als die Leute im Westen, einfach weil die Sonne
da früher aufgeht. Das ist auch ausgeprägter in ländlichen Gegenden als in Städten.

Welchen Einfluss hat die Beleuchtung auf die Produktivität und die Gesundheit der Büroarbeiter?
Was die Produktivität angeht, so kann man keine genauen Angaben machen. weil man dafür eigentlich streng kontrollierte Bedingungen braucht. Alle Büroarbeiter müssten sich mehrere Tage lang komplett gleich verhalten. Sprich, alle Teilnehmer müssten dieselbe Arbeit machen, denselben Schlafrhythmus einhalten, das Gleiche essen und so weiter. All das kann sich sonst neben dem Licht auf die Produktivität auswirken.

Das wurde also noch nicht erforscht?
Nein, aber es gibt vereinzelt Hinweise, dass Licht aufmerksamer machen kann und konzentrationsfördernd wirkt. Wir haben herausgefunden, dass man abends an Bildschirmen mit mehr Blaulicht schneller reagiert und weniger Fehler macht. Aber am
Tag ist die Studienlage leider nicht ganz eindeutig. Es liegt auch daran, dass der Mensch
sich sehr gut anpassen kann. Man muss ja eine bestimmte Leistung erbringen. Die erbringt man, egal unter welchen Lichteinflüssen, welchem Lärm oder anderen Störfaktoren, nur fällt es einem schwerer. Meine Kollegin hat festgestellt, dass dieser Mehraufwand für die gleiche Leistung beim falschen Licht sogar physiologisch messbar ist.

Nun könnte man behaupten, dass Menschen, die ausserhalb eines Büros arbeiten, sei es auf einer Baustelle oder Montagejobs, mehr der Natur und auch dem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Leben diese demnach gesünder?
Hierzu gibt es Hinweise, dass umso mehr Helligkeit man am Tage ausgesetzt ist, umso
besser kann man abends schlafen2. Auch im Altersheim gibt es dazu Hinweise. Wenn man
die Beleuchtungsstärke am Tag erhöht, schlafen die Bewohner in der Nacht besser.
Eine andere Studie hat gezeigt, dass man bei zu wenig Licht am Tag in der Nacht viel
sensibler gegenüber Licht reagiert: Die Melatonin-Unterdrückung ist dann schon bei sehr wenig Licht vorhanden. Das Bild des Bauarbeiters, der also besser schläft, ist zwar möglich, aber nur eine Vermutung. Es wird auch diskutiert, wie viele Lux-Stunden gesund sind, wie viel man ausgesetzt sein sollte. Braucht man 100’000 Lux oder weniger? All das wird noch diskutiert.

Kann Licht Ihrer Meinung nach eine Therapiefunktion einnehmen?
Vor allem im Winter können Lampen das Sonnenlicht ergänzen und Menschen mit Depressionen helfen, denn die Tage sind im Winter meist sehr kurz. Ich halte es aber für
besser, sich dem natürlichen Tageslicht auszusetzen. Aber manchmal ist das unter anderem aus beruflichen Gründen nicht möglich, daher denke ich, das ist eine gute Alternative. Auch bei Leuten, deren Biorhythmus verschoben ist, ist das eine gute Idee.

Welche Beleuchtung würden Sie für ein modernes Bürogebäude empfehlen?
LEDs mit einer guten Farbwiedergabe. Wenn möglich sogar welche, die dem Tageslicht
spektral sehr nahekommen. Es gibt verschiedene Hersteller, die mittlerweile solche LEDs herstellen.

Also Human Centric Lightning?
Da weiss man noch nicht, welche Kurve da ideal ist. Der Tag beginnt ja nicht nur mit «warmem» Licht und warmen Sonnenstrahlen. Der Tag beginnt mit der Dämmerung,
und da ist viel blaues Licht vorhanden. Abends ist es dasselbe. Aber genau dieses Spektrum wird von HCL nicht abgebildet. Neue Erkenntnisse aus Studien mit Mäusen
stellen die häufig propagierten Lichtverläufe von HCL gerade infrage3. Es kommt auch
darauf an, von wann bis wann man arbeitet. Wenn man nicht gerade Spät- oder  Nachtschicht arbeitet, ist es fraglich, ob man dann mit Lichtverläufen arbeiten soll oder nicht. Ich denke, es reicht, wenn man während den Bürozeiten eine sehr gute Lichtqualität bereitstellt. In einem Krankenhaus oder einer Produktion, wo Schicht gearbeitet wird, wo
nachts gearbeitet wird, da macht es Sinn, mit Farbverläufen im Licht zu arbeiten.

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