Immer noch prägen Bilder von einzelnen Gebäuden, Baustellen oder Verkehrswegen die Baubranche. Doch solche Bilder lenken von der eigentlichen Herausforderung, die sich im technologischen Wandel manifestiert, ab. Es geht darum, möglichst optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen wohnen, reisen, ihre Energie beziehen und kommunizieren. Das Planungs- und Ingenieursunternehmen Gruner will hier seinen Teil dazu beitragen, die Philosophie zu verändern. Wir führten mit dem CEO der Gruner Gruppe, Flavio Casanova, ein Interview.

Die Kernkompetenzen Ihres Hauses umfassen acht Tätigkeitsfelder. Das reicht vom Thema Infrastruktur über das Thema Brandschutz und Energie bis zum Thema Generalplanung. Mit jedem dieser einzelnen Themen wäre ein Unternehmen schon gut bedient. Verlieren Sie nicht manchmal den Überblick?
Nein, die Vielfalt hat System. Wir wollen den Kunden umfassend betreuen. Und wenn man die Kundenbedürfnisse ernst nimmt, dann braucht es ein solch umfassendes Portfolio. Im Mittelpunkt steht immer die Frage, welche Leistungen der Kunde für sein Projekt benötigt und wie man es vor Ort passend umsetzt. Das ist auch für mich spannend: Es macht Spass, mich mit unterschiedlichen Fachplanern über unterschiedliche Projekte auszutauschen.

Was hält diese Themen zusammen, sprich, welche Unternehmensphilosophie steht dahinter?
Zuerst einmal: Wir legen bei allem, was wir tun, Wert auf fachliche und menschliche Kompetenzen, langfristige Kundenbeziehungen und persönlichen Kontakt. Mit unserem umfassenden Dienstleistungsangebot können wir die Herausforderungen mit vollem Überblick zuerst einmal aus unserem Haus heraus bearbeiten …

… Lassen Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen.
Gerne. Nehmen wir an, wir haben bei einem Projekt ein Fachplanermandat für die Statik. Nach einigen Wochen merken wir, dass es beim Thema Brandschutz Handlungsbedarf gibt. Das können wir mit unseren Brandschutz-Spezialisten bearbeiten. So muss der Kunde sich nicht mühsam nach einem weiteren Anbieter umschauen und erfährt dadurch keinen Zeitverlust.

Dafür brauchen Sie erstens Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf der Höhe der Zeit vielfältige Qualifikationen anbieten, und wenn es dann wirklich sehr spezifisch wird, doch auch Partner, die Sie ansprechen können. Wie gewährleisten Sie dies auf der konkreten Projektebene? Nehmen wir nur das Beispiel der Strömungstechnik, die beim Thema Brandschutz wichtig ist.
Auch die Strömungstechnik haben wir bei uns an Bord. Es gibt aber Bereiche, wo wir mit auf das Projekt abgestimmten externen Partnern arbeiten, auch bei Ausschreibungen. Es gilt hier – wie bei jedem Projekt –, eine gute Führung und Kommunikation sicherzustellen. Genau diese Fähigkeit versuchen wir, unabhängig von der konkreten Konstellation immer weiterzuentwickeln: Unsere Gesamtprojektleiter müssen ein interdisziplinäres Generalistenwissen haben, gepaart mit einer grossen Leadership-Kompetenz, um komplexe Projekte optimal führen zu können.

Das hört sich anspruchsvoll an. Welche Werkzeuge stehen bei der Planung zur Verfügung? Um dies zu verdeutlichen, können wir vielleicht einen Blick in die Situation von vor 15 Jahren werfen.
Schon damals arbeiteten wir mit CAD-Tools, das waren noch 2-D-Lösungen und nicht wie heute 3-D-Lösungen. Was sich stark verändert hat, sind die Komplexität, die Kommunikation und die spezifischen Tools. Es braucht heute mehr Kommunikations- und Projektmanagementfähigkeiten. Die Projekte sind von der Materialisierung her wesentlich komplexer geworden. Denken Sie nur an die Gebäudetechnik und was hier heute im Bereich Automation und Steuerung alles möglich ist.

Das ist jetzt notwendigerweise etwas kursorisch …
… Was sich massiv verändert hat, sind die Prozesse, die von der digitalen Transformation betroffen sind. Sie können heute via Collaboration Tools, mit Sharepoint oder vergleichbaren anderen Lösungen die Teammitglieder digital sehr viel mehr einbinden. Das betrifft beispielsweise die Führungstechnik. Das erleichtert teilweise die Arbeit, ist aber zum Teil auch eine Belastung.

Warum?
Die Informationsflut ist kaum zu bändigen.

Aber wir haben doch jetzt Werkzeuge zur Verfügung, die genau hier eine Hilfeleistung anbieten?
Aber dagegen stehen die erhöhte Komplexität und das immer grössere Kommunikationsvolumen. Man kommuniziert heute oft per Mail und tauscht vielfältige Informationen aus – früher hat man kurz telefoniert. So ist heute die Informationsflut kaum mehr zu bewältigen. Und auch hier ist unser breites Portfolio ein Vorteil. Intern kann man solche Prozesse viel besser steuern, als wenn man zwischen unterschiedlichen Unternehmen und Unternehmenskulturen hin und her wechseln muss.

Wie spiegeln sich solche Prozesse zwischen den Hierarchiestufen und in der Organisation wider?
In der Gruppe gibt es eine klare Struktur. Wir sind in Firmen organisiert. Unsere wichtigste Einheit ist aber das Projekt. Aktuell bearbeiten wir über 3’500 Projekte. Dabei gibt es viele kleinere und mittlere Projekte und wenige Grossprojekte. Bei grossen Projekten gibt es in der Regel eine interne Projektallianz. Das ist dann eine «Firma innerhalb der Firma». Es geht dabei um den Erfolg des Projekts und nicht um den Erfolg der einzelnen beteiligten Firmen. Das ist eine Balance, um die wir immer wieder kämpfen …

Lassen Sie uns ein Projekt, an dem Sie beteiligt sind, konkreter beleuchten. Es geht um das Bahninfrastrukturprojekt Verlängerung der Glatttalbahn im Raum Zürich. Wie ist hier der Ablauf? Vermutlich stehen am Anfang von staatlicher Seite Vorgaben und ein Entwurf und dann muss oft die Bevölkerung via Abstimmung noch einbezogen werden. Springen wir in die Praxis. Was steht am Anfang?

Am Anfang jedes Projektes steht eine Bedarfsanalyse. Im konkreten Fall der Glatttalbahn ist das die Aufgabe der staatlichen Institutionen. Es können aber auch schon externe Verkehrsplaner wie diejenigen von Gruner involviert sein. Man stellt fest, dass es diese Tramstrecke braucht, und es wird in der Regel ein Planungskredit realisiert. Der nächste Schritt ist die Erstellung eines Infrastrukturkonzessionsgesuches, also eines Vorprojektes. Dieses wird bereits extern vom Planungsbüro realisiert und von der Bauherrschaft begleitet. Nach weiteren Planungsschritten folgen diverse Planauflageverfahren sowie Volksabstimmungen, falls der Baukredit noch nicht gesprochen ist. Die Auflageverfahren sehen auch für diverse Anspruchsgruppen Einsprachemöglichkeiten vor.

Um was für Themen geht es dabei?
Sehr oft sind es Landerwerbsfragen, verkehrstechnische Fragen sowie ökologische Fragestellungen. Auch hier bieten wir mit unseren Umweltleuten vielfältige Unterstützung für die Bauherren an. Bezüglich der Planungsleistungen kann es sein, dass sich das Mandat über alle Planungsphasen erstreckt oder es nach einer spezifischen Phase, zum Beispiel vor Baubeginn, eine weitere Planerausschreibung gibt. Im Fall der Glatttalbahn, Strecke Flughafen bis Kloten, gab es eine Ausschreibung über alle Phasen, und wir haben im Rahmen der Ingenieursausschreibung gemeinsam mit Partnern eines von drei Losen erhalten.

Da gibt es eine Arbeitsgemeinschaft?
Genau. Wir haben uns aufgeteilt. Unsere Partner planen die Brücken oder kümmern sich um die Verkehrsplanung, und wir planen das Tramtrassee sowie die Haltestellen. Es gilt aber für alle Arbeiten das Vier-Augen-Prinzip. Gegenüber dem Auftraggeber sind alle Partner für sämtliche Planungen verantwortlich. Mitgegangen – mitgehangen!

Bei solch einem Projekt braucht es zunächst technische Kenntnisse, beispielsweise bei dem Thema Gleistechnik, und planerische Kenntnisse. Von welchem Zeitrahmen sprechen wir hier?
Ein Vorprojekt bis zum Konzessionsverfahren dauert mindestens ein Jahr. Es gibt Mitwirkungs- und Einspruchsprozesse, man muss Öffentlichkeitsarbeit organisieren. Auch die verschiedenen Behörden wollen gezielt eingebunden werden. Dieses Projekt erstreckt sich über mehrere Gemeinden. Da gilt es, einige Interessengruppen zu begrüssen. Da wird beispielsweise intensiv über die Anordnung von Haltestellen diskutiert. Das ist die Realität des Schweizer Konsensfindungsmodells.

In China würde es schneller gehen?
Ja. Aber nur so erreicht man die breite Akzeptanz für ein solches Projekt. Es ist die Kunst unserer Projektleiter, zusammen mit der Bauherrschaft hier klare Voraussetzungen zu schaffen, damit der Bundesrat und später das Bundesamt für Verkehr (BAV) die Genehmigungen erteilen können. Das Bauprojekt wird weitere zwei Jahre dauern, sodass unter Berücksichtigung aller Prozesse erst 2023 mit dem Bau begonnen werden kann. Die ersten Trams werden 2026 fahren.

Eine weitere Hürde sind sicher die Finanzen. Bei Infrastrukturmassnahmen mit einer gewissen Dimension ist das offensichtlich. Oft gibt es den politischen Willen, das Projekt zu realisieren. Daher werden die Kosten bewusst nach unten gedrückt. In der Praxis stellt sich dann heraus, dass diese Pläne Makulatur sind. Das extremste Beispiel, welches mir gerade im Infrastrukturbereich im Sektor Bahn einfällt, ist die Planung des neuen Bahnhofs in Stuttgart (Stuttgart 21). Warum erleben wir zum Glück solche Katastrophenplanungen in der Schweiz nicht?

Wir machen Kostenvorschläge auf der Stufe Bauprojekt. Die Gruner Gruppe hat Unternehmerpreise in ihren Datenbanken. Meine Mitarbeitenden kennen in der Regel die Marktpreise. Ein Kostenvoranschlag fällt oder steht mit der Genauigkeit der Angaben des Planers. Wo der Genauigkeitsgrad nicht exakt bestimmt werden kann, deklarieren wir dies auch.

Sie stellen dann Puffer auf?
Ja, aber auch diese sind deklariert.
Der Spielraum hängt sicher auch von der Grösse und dem Zeitrahmen ab. Ein Hochhaus mit einer Planungs- und Bauzeit von maximal drei Jahren haben wir als Profis finanztechnisch im Griff. Bei Megaprojekten wie dem Gotthard-Basis-Tunnel mit 20 Jahren Planungshorizont sieht es etwas anders aus, da verändern sich schon von der juristischen, sprich gesetzlichen, Seite während der Planungsphase viele Vorgaben. Nehmen Sie nur das Thema Sicherheit. Da verändert sich die Gesetzeslage in mehreren Dekaden massiv. Aus diesen Gründen kann es zu Kostensteigerungen kommen, die man 20 Jahre vorher nicht auf dem Radarschirm haben kann.

Und es kommen keine Politikerinnen oder Politiker, die ein Prestigeprojekt mit niedrigen Kosten realisieren wollen?
Doch, auch in der Schweiz gibt es das. Aber wir dürfen und wollen uns nicht instrumentalisieren lassen. Es ist wichtig, bei seinen Kalkulationen zu bleiben, auch wenn es Preisdruck von verschiedenen Lobbygruppen oder der Politik gibt.

Ein Leitsatz Ihres Hauses lautet: «Regional verankert und global vernetzt», was kann man darunter verstehen?
In der Schweiz heisst dies, dass wir vor Ort bei dem Kunden sein wollen. Unsere föderalistische Ausrichtung zwingt uns auch fast dazu. Global verfügen wir über ein gut funktionierendes Netzwerk im Ingenieurbau, vor allem in der Wasserkraftnutzung und dem Staudammbau. Da braucht es Kooperationspartner und Experten vor Ort. Beispiel Tadschikistan: Da haben wir von einer italienischen Firma das Mandat erhalten, einen Staudamm zu planen, der zum Teil von Entwicklungsbanken finanziert wird.

Sie haben jetzt eine eigene digitale Abteilung gegründet. Ist dies als eine Querschnittsaufgabe organisiert oder gibt es eine eigene Abteilung?
Beides. Wir haben eine digitale Strategie verabschiedet und dann einen Geschäftsbereich «Digitale Entwicklung» etabliert. Der Geschäftsbereich treibt Themen wie BIM weiter voran. Für die digitale Transformation in unserem eigenen Hause investieren wir beachtliche finanzielle Mittel in zweistelliger Millionenhöhe. Da geht es auch viel um Schulungen. Daneben hat jeder Kompetenzbereich wie die Gebäudetechnik eigene Verantwortliche, die für die digitale Entwicklung zuständig sind und auf ihre Sparte herunterbrechen, anhand konkreter Pilotprojekte.

Wo wird sich BIM durchsetzen?
BIM ist dann interessant, wenn es um interdisziplinäre und grössere Projekte geht. Zudem sollten die Ergebnisse und Daten umstandslos in die Projekte «fliessen». Da gibt es heute noch Schnittstellenprobleme, gerade im Kostenmanagement. Aber in zwei Jahren sprechen wir nicht mehr davon …

Welche Ziele haben Sie sich in den nächsten Jahren im Schweizer Markt gesetzt?
Der Umsatz der Gruner Gruppe ist 2017 leicht gestiegen, bei etwa gleichbleibender Anzahl Mitarbeitender. Die grosse Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Aktuell haben wir rund 90 Stellen offen. Wir wollen aber vor allem qualitativ wachsen und nicht zu jedem Preis. In den Bauhauptmärkten der Schweiz spielen wir eine wichtige Rolle und wollen dies weiterhin tun. Aber wir wollen auch neue Produkte, zum Beispiel im Bereich «Internet der Dinge», lancieren. Bei alledem planen wir für Menschen, nicht nur für Kunden, und wollen wie seit über 150 Jahren zu einer lebenswerten Zukunft beitragen. Das sagen wir ganz einfach so: Mit uns geht der Plan auf!

Gruner Gruppe