Stefan Schillinger ist Managing Partner der ACCUMULATA Real Estate Group.

Oft wurde die Innenstadt in der Corona-Pandemie totgesagt. Als Herzstück einer Stadt hat das Zentrum seit jeher einen wirtschaftlichen wie auch soziokulturellen Wert. Letzterer wurde über die Jahre zu oft vernachlässigt. Sinkende Mieten können den Anfang eines Umdenkens markieren.

Ganz gleich ob in der Wirtschaft oder der Natur: Jedes Wachstum ist endlich. Ein stetiges Nachoben gibt es nicht. Kreisläufe sind eine Normalität. Warum also nicht
von der Natur lernen und die Wellenbewegung als Chance begreifen? In den vergangenen zehn bis 15 Jahren sind die Mieten in den High Streets der Metropolen kontinuierlich gestiegen. Das Resultat ist die Monokultur immer gleicher Retail-Flächen. Betreiber alternativer Konzepte können sich die Topmieten in Innenstadtlagen nicht leisten – und die Stadt nicht bereichern. Sie bleiben in den Stadtvierteln und Randlagen.

Doch in der Wirtschaft wie im Leben gilt: Innovation macht den Unterschied. So wundert es nicht, dass innerstädtische Shoppingmeilen sukzessive durch Quartiere abgelöst werden. Im Gegensatz zur herkömmlichen Einkaufsmeile beinhaltet der Quartiersgedanke ein multifunktionales Versorgungsangebot mit komplementären Eigenschaften. Die Innenstadt muss sich ebenso zum One-Stop-Shop entwickeln, der den lebensnotwendigen Bedarf bei schneller Erreichbarkeit abdeckt, wenn sie überleben und wieder leben will.

Die Neuordnung von Mietpreisen und Nutzungen kann den Neuanfang markieren – eine Chance für urbanere Städte und mehr Aufenthaltsqualität. Die Ideen reichen vom synergetischen Mixed-Use-Gebäude, wo der Vater sein Kind in die Kita geben und zum Arbeiten in den Makerspace gehen kann, bevor er in der Mittagspause seine Mutter im Wohnheim besucht, bis hin zum Café, das am Abend als Atelier fungiert.

Was also, wenn wir die sinkenden Mieten der Haupteinkaufsstrassen als Chance nutzen? Das bedeutet ja nicht, dass sie später nicht wieder steigen können. Dieser Strukturwandel könnte der Beginn eines neuen, kommerziell besseren Gentrifizierungszyklus sein. Wie könnte das aussehen? In Phase eins sinken die bisherigen Mieten deutlich. Das zieht kreative und mutige Pioniere in Bestlagen, die mit wenig Geld, aber kulturellem Kapital der Innenstadt von morgen neues Leben einhauchen. In Phase zwei kommen professionellere Pioniere, die mit etwas mehr Geld mehr Wertschöpfung betreiben. Die Mieten steigen wieder. In Phase drei kommen die Gentrifizierer, die Infrastruktur und Preise verändern sich weiter. Und in Phase vier entdecken Besucher und Investoren die Innenstadt schliesslich als Ort des Kapitals. Neuer Zyklus, alte Logik.

Derzeit stehen wir am Peak des alten Kreislaufs und die Akteure müssen sich die Frage stellen: Tausche ich jetzt Rendite und Sicherheit gegen neue Lebendigkeit und niedrigere Einnahmen? Kann dieser Neuanfang die Saat für die Rendite von morgen sein? Ich bin überzeugt: Gentrifizierung funktioniert umso besser, je mehr wir künftig in Phase eins und drei darauf achten, dass bei aller Verdrängung der Pioniere deren Geist nicht abhandenkommt. Wenn wir die Vielfalt aus Phase eins in Phase vier retten, stimmen künftig das urbane Lebensgefühl und die Rendite. Dann haben wir 2030 nicht nur immer gleiche monopolartige Filialisten in den Zentren, sondern ebenso Cafés, Ateliers und ein paar verrückte Andersdenkende.

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