Prof. Dr. Ulrike Sturm leitet an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit das Institut für Soziokulturelle Entwicklung und ist Co-Leiterin des Interdisziplinären Themenclusters Raum & Gesellschaft.

Bis zum Jahr 2050 sollen die CO2-Emissionen der Schweiz auf Netto-Null sinken. Dies erfordert eine Transformation des Energiesystems, für die nicht nur Bund, Kantone
und Gemeinden sowie die Wirtschaft aktiv werden müssen: Es braucht ein Engagement aller. Die 2020 abgeschlossenen Nationalen Forschungsprogramme «Energiewende» und  «Steuerung des Energieverbrauchs» kommen zu dem Schluss, dass die Schweizer Bevölkerung grundsätzlich dazu bereit ist, aktiv zu werden. Häufig scheitere dies jedoch daran, dass nicht genügend Information zur Verfügung stehe. Wie können die bestehenden «Wissenslücken» geschlossen werden?

Die Transformation des Energiesystems ist ein Prozess über einen längeren Zeitraum, an dem ein breites Spektrum von Akteurinnen und Akteuren beteiligt ist. Für wirksame Veränderungen gilt es, Wahrnehmungen und Bewertungen zu berücksichtigen, denn gesellschaftliche Normen bestimmen unser Verhalten. «Diese gesellschaftliche Bewertung und Einordnung spielt für die Transformation des Energiesystems eine wichtige Rolle. Sie lässt sich dafür einsetzen, die Transformation voranzubringen », so das Forschungsresümee. Ein Beispiel: «Gelten etwa E-Bikes als ‹cool›, wächst die Kaufbereitschaft für diesen Fahrradtyp, auch wenn die Kosten dafür hoch sind.»

Wir benötigen hierfür nicht nur ein besseres Verständnis des Energiesystems und seiner Wechselwirkungen. Daneben braucht es auch «Orientierungswissen», das Werte vermittelt  und uns in die Lage versetzt, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen. Wir benötigen Szenarien und Zukunftsbilder, die Orientierung über die künftigen Entwicklungen bieten und die Einzelaktivitäten auf dem Weg zur Energiewende in einen Kontext einbetten. Die Kombination von Verstehen und Orientierung ist Voraussetzung für unser Handeln.

Im Gebäudesektor können durch unterschiedliche Massnahmen, regulatorische Interventionen oder monetäre Anreizsysteme, Änderungen bei energierelevanten Entscheidungen erwirkt werden. Die Erfahrung zeigt, dass es notwendig ist, in einen offenen Dialog zu treten, wenn die Massnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden sollen. Für die Umstellung der Energieversorgung und -produktion in Quartieren erfordert  dies ein Arbeiten mit den wichtigen «Stakeholdern»: mit den Eigentümerschaften, der  öffentlichen Hand, Energieunternehmen, Fachpersonen aus den Bereichen Energie, Architektur und Planung, lokalem Gewerbe und Vereinen.

Für die Umsetzung der Innenentwicklung hat die Hochschule Luzern ein Verfahren für Multistakeholder-Prozesse entwickelt, denn gegenläufige Interessen erschweren auch dort die Umsetzung. Das dialogische Verfahren mit einer frühzeitigen Kooperation zwischen Gemeinde und betroffener Grundeigentümerschaft hat sich in verschiedenen Quartiers- und Gemeindetypen bewährt. Dieses Verfahren kann auch zur Umsetzung der Energiewende beitragen.

Im Projekt «Quartierbezogene partizipative nachhaltige Energielösungen» werden kollektive Entscheidungen der Eigentümerschaft zur Realisierung regenerativer Energielösungen auf Quartierebene angeregt und gefördert. In Kooperation mit Eigentümerschaft, Akteuren aus der Energiebranche, öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft entwickelt die Hochschule
Luzern in einem Testquartier verschiedene umsetzungsreife Systemlösungen und ein Modell zur «Energietransformation im Quartier». 2021 bis 2024 führt sie zusammen mit der FHNW und der FH OST eine Veranstaltungsserie zur Energiewende auf Gemeindeebene durch. Kooperative Verfahren werden künftig, so die zugrunde liegende Erfahrung, einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende leisten.

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