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Die Corona-Krise hat in der Erwachsenenbildung einen noch nie da gewesenen Innovationsschub ausgelöst.

Die Corona-Krise hat in der Bildung einen noch nie da gewesenen Innovationsschub ausgelöst. Was heisst das für die Zukunft der Erwachsenenbildung? Daniel Herzog, Bildungsexperte und CEO der Lernwerkstatt Olten hat dazu sechs Thesen aufgestellt.

These 1: Lernen im virtuellen Raum wird zum Standard

Was Anfang Jahr in den meisten Köpfen bei Bildungsanbietern noch als Science-Fiction galt, ist nun Alltag: Die Klasse trifft sich (regelmässig und wie selbstverständlich) statt physisch im Kursraum neu virtuell per Videokonferenzsystem. Man sieht sich, spricht miteinander, wird von der Kursleitung unterrichtet und in Partner- oder Gruppenarbeiten geschickt. Via Chat kann man sogar mit dem «Pult-Nachbarn» plaudern. Und es funktioniert, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Soziale Nähe kommt im virtuellen Raum zwar etwas zu kurz, und gewisse Inhalte können nur schlecht vermittelt und trainiert werden. Die Technologien werden sicher aber rasant weiterentwickeln. Vorübergehend werden wir uns mit Virtual Reality-Brillen noch wirklichkeitsnaher im Bildungsumfeld bewegen. Und neue Technologien werden in Kürze weitere ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Bereits heute gibt es nur wenige gute Gründe, dass sich jeden Tag zehntausende von Menschen durch den Verkehr quälen, ihre Zeit vergeuden und die Umwelt belasten um zur Universität, zur Berufsfachschule oder ins Seminarhotel zu gelangen. Der Mensch lebt zwar von der Begegnung und von sozialen Kontakten. Diese Bedürfnisse müssen aber nicht zwingend in der Bildung befriedigt werden. Mittelfristig werden wir uns in Blended Learning Settings bewegen. Langfristig wird die Präsenzveranstaltung aber dank neuen Technologien zur Ausnahme.

These 2: Lernen wird stark individualisiert

Vor allem die betriebliche Aus- und Weiterbildung fordert die Individualisierung der Bildungsangebote schon seit Jahren. Bildungsanbieter arbeiten an Settings, die ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen ermöglichen. Lernangebote sollen dann zur Verfügung stehen, wenn neue Kompetenzen benötigt werden. Tempo und Strategie der Know-how-Aneignung soll jede Person selber steuern können. Die Erfahrungen im Rahmen der Corona-Krise zeigen: Dies ist möglich. Individualisiertes Lernen wird die Zukunft prägen, in der Schweiz zuerst in der berufsorientierten Weiterbildung, wo keine oder wenige Regulationen bestehen. Etwas länger dauern wird es auf Sekundarstufe 2 und im Tertiärbereich, wo Gesetzesvorgaben, Bildungsverordnungen, Rahmenlehrpläne und Bildungsreglemente bestehen. Bereits jetzt ist aber zu beobachten, dass die Vorgaben zunehmend flexibler formuliert werden. Standardisierte Bildungsangebote im Klassenverband ohne grössere individualisierte Anteile wird es in der Schweiz in zehn Jahren keine mehr geben.

These 3: Methoden werden ergänzt

Menschen betreten diese Welt grundsätzlich mit einer grossen Neugier und einer enormen Lernmotivation. Spielerisch entdecken wir unseren Lebensraum und machen in den ersten Lebensjahren einen unglaublichen Lernfortschritt. Sozialisation und Lernerfahrungen führen dann bei jedem Menschen zu einem individuellen Umgang mit Bildung. Die Möglichkeiten der Digitalisierung öffnen Chancen für neue Methoden, die nahe am ursprünglichen Lernen des Menschen sind. Es werden immer mehr spielerische Lernsettings und Applikationen entwickelt, die Teilnehmende in den Bann ziehen und entdeckendes Lernen ermöglichen.

These 4: Rollen verändern sich

Die Virtualisierung und Individualisierung bedürfen einem neuen Rollenverständnis. Der klassische Dozent wird zum Lernbegleiter, Mentor und Online-Tutor. Die Verantwortung für das Lernen verschiebt sich weg von der Lehrperson hin zu den Lernenden. Je nach Lernbiographie werden sich vor allem auch bildungsferne Personen in den veränderten Lernsettings nicht sofort zurechtfinden. Neue Rollen benötigen neue Kompetenzen. Nicht jeder gute Dozent ist auch ein guter Lerncoach. Nicht jede und jeder Lernende ist affin zu den neuen Technologien. In den letzten Wochen sind gerade im Bereich der Medien- und Online-Methodenkompetenz viele neue Angebote entstanden. Diese werden künftig in der Ausbildung von Bildungsfachpersonen, Coaches und Mentoren einen festen Platz finden.

These 5: Techunternehmen als Bildungsanbieter von morgen

Die grössten Unternehmen der Welt sind heute Technologieunternehmen. Apple, Alphabet mit Google, Microsoft, Amazon oder Facebook verfügen über ein immenses Know-how in der Digitalisierung und über scheinbar unbegrenzte Ressourcen an Manpower und Kapital. Sie kennen ihre Kunden wie kein anderes Unternehmen. Bereits seit einiger Zeit investieren diese Firmen in Bildungsplattformen aber auch in Bildungsinhalte. Sie werden die Inhalte kostenlos und werbefinanziert oder zu sehr günstigen Preisen zur Verfügung stellen. Viele Menschen werden dank diesen Angeboten neu Zugang zu Bildung erhalten. Je nach Kultur, Bildungsverständnis, staatlichen und Datenschutz-Regulationen werden die Techunternehmen mit ihren Angeboten in den verschiedenen Ländern unterschiedlich schnell Fuss fassen. In spätestens zehn Jahren werden sie aber die grössten Bildungsanbieter der Welt sein. Kleine und regionale Anbieter werden sich in Nischen positionieren müssen.

These 6: Die Bildungsschere öffnet sich

Die Corona-bedingte Zwangspause erweist sich in der Erwachsenenbildung als Katalysator für die Digitalisierung und Virtualisierung. Wie in allen Branchen, wo die Digitalisierung Einzug gehalten hat, ergeben sich daraus Chancen aber auch Gefahren. Während auf der einen Seite viele Menschen vom vereinfachten und individualisierten Bildungszugang profitieren, wird auf der anderen Seite die Bildungsabstinenz erhöht. Nicht alle Menschen sind technologieaffin und wollen sich auf die neuen Settings einlassen. Sie werden zu Bildungsflüchtlingen, welche die immer weniger werdenden, reinen Präsenzveranstaltungen besuchen. Oder sie verabschieden sich ganz aus der Weiterbildung. Wer es sich leisten kann, bucht ein massgeschneidertes Angebot mit persönlichem Bildungs-Coach. Wer über weniger finanzielle Mittel verfügt bedient sich einer weniger passenden Bildungskonserve aus dem Web und wird dabei von einem digitalen Bildungs-Assistenten betreut. Ohne clevere, wenn es sein muss auch staatliche Massnahmen wird sich in der Schweiz die Bildungsschere öffnen.

www.lernwerkstatt.ch

 

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