Michael De Martin

In einem «Handbuch der Architektur» aus Darmstadt wird im Jahr 1889 dokumentiert, dass der Sauerstoffgehalt der Luft der wichtigste Faktor für die Aufmerksamkeit und den Lernerfolg von Schülern ist. In diesem Handbuch werden integrale Lösungsvorschläge aufgezeigt, wie mit einfachsten Massnahmen die Luftqualität kontinuierlich aufrechterhalten
werden kann. Detailliert werden Aussagen über die notwendigen Luftmengen gemacht, deren Werte wir teilweise auch heute noch verwenden.Eine im März 2019 publizierte Studie des BAG (Bundesamt für Gesundheitswesen) ergab, dass in zwei Dritteln aller Schulzimmer
ein schlechtes Raumklima herrscht. Bei guten Bedingungen könnte die Konzentration und Leistungsfähigkeit um zwischen sieben und 15 Prozent gesteigert werden.

Wie kann es sein, dass wir 130 Jahre später mit massiv mehr Fachwissen, mit viel mehr Erfahrung, mit vielen Spezialisten und erfahrenen Fachleuten keine Gebäude bauen können, die eine gute Luftqualität garantieren? Computer erlauben Simulationen, die Bauherren erhalten verschiedene Varianten zur Wahl der besten Lösung. Und trotzdem ist in zwei von drei Klassenzimmern die Luftqualität ungenügend – und damit die Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit der Schüler eingeschränkt!

Technische Möglichkeiten, die Luftqualität zuverlässig zu messen, sind heute für wenig Geld erhältlich. Damit steigt die Transparenz – Schüler und Lehrpersonen können die Qualität  der Raumluft feststellen. Doch wäre es nicht die Aufgabe einer zeitgemässen, integral entwickelten Schulhausplanung, eine gute Luftqualität zu «garantieren»? Wie das gelöst wird, soll Sache der beteiligten Fachleute sein. Wir brauchen keine neuen Vorschriften, Richtlinien oder Gesetze. Der Weg ins Ziel soll in den Projekten gefunden werden. Doch die Studie zeigt klar und deutlich auf, dass das Ziel viel zu häufig nicht erreicht wird! Weshalb
ist das so? Bauen ist ein komplexer Vorgang. Es gilt, Vorschriften aus allen möglichen Bereichen einzuhalten. Die städtebaulichen Aspekte, der baukulturelle Wert eines Gebäudes und die architektonische Ausdrucksweise sind wichtige Faktoren. Alle am Projekt beteiligten Spezialisten versuchen dann, innerhalb dieser Rahmenbedingungen gute Lösungen zu erarbeiten. Und diese Lösungen dann zu optimieren, um eine hohe (und oft auf die eigene Fachdisziplin beschränkte) Effizienz zu erreichen. Jeder arbeitet in seinem Büro, seiner Umgebung. Und an den Sitzungen werden dann diese (Einzel-)Lösungen  Zusammengebracht und zusammen besprochen. Ist diese Art der Projekt-Entwicklung für ein modernes Gebäude noch tauglich?

Oft wir sind stolz darauf, dass ein Gebäude «Energie-Effizient» ist – und anhand von Labels wird dieser Faktor (rein rechnerisch) bewiesen. Wäre es nicht wichtiger, ein Gebäude danach zu beurteilen, ob es den angedachten Zweck optimal erfüllt? Und danach die
Energie als zweitwichtigsten Faktor zu werten? Schliesslich wurde noch kein Gebäude gebaut, um Energie zu sparen! Wir bauen für einen Zweck, und diesen gilt es ins Zentrum zu stellen!

Ich bin mir sicher, dass die aktuell überall diskutierte BIM-Methode eine grosse Chance darstellt. Wir müssen die bestehenden Zusammenarbeitsformen auf deren Tauglichkeit überprüfen und neue Modelle entwickeln. Integrale Zusammenarbeit funktioniert nur, wenn die Beteiligten Zeit miteinander verbringen. Nicht nur an den wöchentlichen Sitzungen – sondern im Rahmen einer integralen Projektentwicklung. Packen wir es an!

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