© Dr. Michael Fladung

Ende Mai 2016 beginnt die Architekturbiennale in Venedig. Die Biennale war und ist nicht nur ein Ausstellungsraum, sondern widerspiegelt auch gesellschaftliche Herausforderungen. Das zentrale Thema unserer Tage heisst Flüchtlinge – genauer: wie Flüchtlinge leben und wohnen. Das ist eine umkämpfte Debatte, aber auch eine architektonische Herausforderung. Inzwischen gibt es Architekten, die dazu konkrete Lösungen vorgelegt haben. Im deutschen Pavillon sind sie zu sehen, und wir stellen einige vor.

Aktuell sind weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die wachsende Dimension der Flüchtlingsbewegung entwickelt sich zu einer wesentlichen Herausforderung gerade für grosse Städte, in denen die Menschen in hoher Zahl und in kurzer Zeit Unterkunft und ­Versorgung, Arbeit und Integration finden sollen. Die Hauptlast dabei tragen aber nicht europäische Länder, wie gerne behauptet wird, sondern die angrenzenden, oft sehr armen Länder. Im Krieg in Syrien sind dies beispielsweise der Libanon, Jordanien und die Türkei, die die Hauptlast tragen. Das grösste Flüchtlingslager steht nicht in ­Europa, sondern in Kenia, mit Flüchtlingen aus Somalia.

Integration oder Parallelgesellschaft
Angemessenen Wohnraum zu schaffen und Schnittstellen des Wohnens mit dem Stadtraum herzustellen, um die Teilnahme am städtischen Leben von Beginn an zu ermöglichen und eben nicht in periphere Sektoren abzuschieben, muss das zen­trale Ziel sein. Die Geschichte kennt hier viele negative und positive Beispiele. Vorstädte, Banlieues, Ghettos oder Slums können entweder Sprungbretter und Durchlauf­erhitzer für ein besseres Leben in der Gesell­schaft sein oder Orte, in denen man von der Gesellschaft ausgeschlossen bleibt und / oder sich in Parallelgesellschaften einrichtet. Die Schweiz hat die Ungarn-Flüchtlinge von 1956 gut integriert, auch mit den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugo­slawien Anfang der Neunzigerjahre hat es gut geklappt. Bei Kosovo-Albanern sieht das aber schon ganz anders aus. In vielen französischen Vorstädten kann man beobachten, wie Integration nicht gelungen ist. Die Bunderepublik Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Flüchtlingen integriert. Das Bundesland Bayern hat seine ­Bevölkerungszahl um ein Viertel erhöht. In Schleswig Holstein ist die Bevölkerung sogar um die Hälfte gewachsen. Das lief nicht ohne Hindernisse ab. Es gab sogar Demonstrationen gegen die «Trecks aus dem Osten». Heute reden wir von viel niedrigeren Zahlen.

Gerne nützen wir auch nur den negativen Aussenblick auf die Gebäude in den «Problemvierteln». Das wollen die Veranstalter des Pavillons in Venedig ändern. Es geht um einen Perspektivenwechsel, weg vom Blick von aussen auf das Ghetto. Stattdessen sollten die Biografien der Bewohner, sprich der Binnenblick, im Fokus ­liegen. Das ist ein richtiger Ansatz. Die Zustände in den «Arrival Cities» entschei­den über den Erfolg oder Misserfolg der Integration.

Konkret umfassen die Bauten sehr unterschiedliche Situationen, die auch unterschiedliche Lösungen brauchen. Das Spektrum reicht von einer Notfallmassnahme in Form einer Leichtbauhalle für über 300 Menschen bis zum regulären Wohnungsbau. Auf dem nicht mehr genut­zten Flughafen in Berlin-Tempelhof entstanden grosse Hallen. Das kann aber nur eine Übergangslösung sein. Wichtiger und langfristiger angelegt sind dezentrale Lösungen, die sich in das Stadtbild mit ihrer Architektursprache einpassen. Fast alle Projekte sind schon realisiert. Wobei ein standardisierter Holzmodulbau im Vordergrund steht. Drei Ziele gilt es unter einen Hut zu bringen: Preiswert, praktisch und schnell soll es sein.

Nicht gegeneinander ausspielen
Es geht aber nicht nur um Flüchtlinge. Gerne treiben Populisten Keile zwischen unterschiedliche, schwache gesellschaftliche Gruppen. Die Mietpreise in den urba­nen Zentren sind hoch, und der soziale Wohnungsbau stockt seit Jahren. Zum  Jammern ist aber keine Zeit. Allerdings kann die jetzige Situation auch Gutes ­bewirken. So muss der kostengünstige Wohnungsbau vorangetrieben werden. Wenn die Wohnungskrise gemeistert wird, könnten alle davon profitieren, auch die untere Mittelschicht, die sich keine Wohnung mehr in Ballungszentren leisten kann.

Aufbau der Ausstellung
Die Ausstellung Making Heimat. Germany, Arrival Country in Venedig wird von Peter Cachola Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann vom Deutschen Architek­turmuseum (DAM) in Frankfurt (D) betreut. «Heimat» ist ein sehr deutsches Wort, kaum übersetzbar, das die schwierige ­Situation widerspiegelt. Es geht nicht um Multi-Kulti-Euphorie, aber auch nicht um das Hinterherlaufen des gerade anwachsenden nationalen Populismus. Nüchterne und praktische Lösungen sind gefragt.

Der erste Teil zeigt Flüchtlingsunterkünfte, also real gebaute Lösungen zur Bewältigung der akuten Notsituation. Der zweite Teil fragt nach den Bedingungen, die in einer Arrival City (Ankunftsstadt) gegeben sein sollten, damit aus Flüchtlingen Einwanderer werden können. Der dritte Teil der Ausstellung ist das räumliche Gestaltungskonzept zum deutschen Pavillon, mit dem ein Statement zur aktuellen poli­tischen Situation gesetzt wird. Die Projekte zeigen die Realität in Deutschland, gegliedert nach Grösse, Kosten und Bewohnern pro Quadratmeter, Material und Konstruktion.

Das Beispiel Young Refugee Center
In der Münchner Maxvorstadt, unweit vom Hauptbahnhof, baute Modal M ein ehemaliges Bürogebäude in ein Ankunftszentrum für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge um. Das sogenannte Young Refugee Center ist die erste Unterkunft dieser Art in Deutschland und dient der Erstaufnahme von jungen Flüchtlingen, die ohne Begleitung nach Deutschland einreisen. Die Einrichtung wird durch die Landeshauptstadt München in Zusammenarbeit mit freien Trägern betrieben.

Ein Alleskönner sollte das Young Refugee Center (YRC) in München werden: Von der Registrierung über die erste Grundversorgung und medizinische Untersuchung bis hin zu Aufenthalts- und Schlafräumen – auf den sieben Stockwerken des ehemaligen Bürogebäudes werden künftig alle Abläufe der ersten Inobhutnahme für neu ankommende minderjährige Flüchtlinge innerhalb von zwei bis drei Tagen abgewickelt, bevor sie nach dem Königsteiner Schlüssel bundesweit auf andere Aufnahmestellen verteilt werden. Da das YRC die erste Unter­kunft dieser Art ist, mussten hier schnelle, unkomplizierte und praktikable Lösungen geschaffen werden.

Die Gebäudestruktur bot optimale Umsetzungsmöglichkeiten. Im Erdgeschoss finden sich künftig zwei Eingänge, die 24 Stunden besetzt sind, ein Registrierungs- sowie ein grosser Ruhe- und Aufenthaltsbereich. Ärztliche Kontrolle, Alterseinschätzung und Erstberatung erfolgen im ersten Obergeschoss. In den oberen Stockwerken befinden sich die Gruppenzimmer mit neuen Sanitärbereichen, Küchen und Aufenthaltsräumen sowie die Büroräume der Betreiber.

Das Farb- und Lichtkonzept erleichtert die Orientierung im Gebäude. Das Augenmerk liegt darauf, die Räume hell und positiv zu gestalten sowie Informationen nonverbal zu vermitteln. Die leicht verständliche Ikonografie ist immer eine Herausforderung. Wie findet man ein internationales Symbol für Küche? Ein Herd oder Messer und ­Gabel funktionieren nicht global übergreifend. Jetzt zeigt ein Maiskolben, wo die Küche ist. Den isst man nämlich weltweit, egal ob auf einem Teller oder Bananenblatt.

Weitere Informationen:
www.makingheimat.de
www.dam-online.de
www.labiennale.org